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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

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Heft 8 (2. Januarheft 1919)
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Bonus, Arthur: Tragik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0055

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zu der Formel: der Geist des ProtestantismuS, in Deutschland aufbauend,
wirkt in Rußland zersetzend. Im protestantischen Deutschland, meint er
(und unter dessen Einfluß in Gesamtdeutschland), habe man stets eine
weitgehende Freiheit des Wortes genossen, sei deshalb gewohnt, freiheit--
liche Gedanken mit ruhigem Erwägen aufzunehmen, die Idee der organi--
schen Entwicklung zu fassen und unter Freiheit daher einen vernünftigen
Zustand zu verstehen. In Rußland ist jedes sachliche Erwägen, jedes Nach--
denken, das nicht von vornherein die Bombe als Beweis ins Auge faßt,
völlig ausgeschlossen. Freiheit ist Bombe. Es gibt nur Gute und Teufel,
und die Guten sind die Männer der Bombe, alles übrige ist Teufel. Aber
der Terror als Ziel an sich endet im Verbrechen, kann nicht anders enden.
So ist die russische Bewegung bei der Herrschaft der Verbrecher angelangt,
und ihre blutbefleckten Losbinder werden ihrer nicht mehr Herr, so gerne
sie heute wohl auch möchten. Nnd diese Männer, aus ihren Verhältnissen
durchaus erklärliche Ideologen, für Marxsche Geschichtsphilosophie völlig
verschlossen, Schüler, die durch die Schuld ihrer häuslichen Verhältnisse
nichts lernen konnten und alles mißverstehen mußten, — diese Männer
werden heute bei uns von den Romantikern der Revolution als Vor--
bilder ihrer Lehrer ausgerufen!

Wie ist das möglich?

Drei Punkte lassen sich erkennen.

Einmal: Wer auf eine Neuschöpfung hinauswill, hat immer eine dop--
pelte Aufgabe: das Einreißen und das Neubauen. Im Mechanischen
sind das zeitlich getrennte Tätigkeiten, erst Abreißen, dann Bauen. Im
Organischen geht beiderlei Tätigkeit nebeneinander her. Ia, da kann eS
vorkommen, daß der Neubau zeitlich voraufgeht urrd erst durch sein Da-
sein das Alte sprengt. Ie stärker und härter das Alte lastet, desto gewalt-
samer ist die niederreißende Tätigkeit, die sich gegen es richtet. Nnd nun
ist leider zu sagen, daß trotz der von Masaryk gelobten weitgehenden Frei«
heit der Kritik in Deutschland doch sehr böse Elemente ungerechtfertigter
Härte auch in unsrem Regierungssystem lagen. Schon unter Bismarck,
dessen harte Hand wenigstens sicher war, aufreizender und erbitternder
unter der Zickzackregierung des verflossenen Kaisers mit seinen irrsinnigen
Vater-- und Muttererschießungs- und Zuchthausdrohungen. Im Kampf
gegen dieses System und freilich auch schon unter fortwährendem Neben-
einfluß nlsstscher Verzweiflungstakkiker hat die deutsche Sozialdemokratie
zeitweilig häßliche Töne einer ziellosen Hetze um der Hetze willen angeschla-
gen. Die daraus aufgewachsenen Stimmungen wenden sich nun gegen sie.

Dazu ein Zweites: Diese Gewalt ist sehr jäh zerbrochen, die auf der
Bewegung lastete. Wenn ein starker Widerstand sehr plötzlich weicht, so
stürzt der nieder, der sich mit voller Kraft gegen sie gestemmt hatte.
Wenn ein explosiver Stoff, von allen Seiten durch gleich harte Wände
zusammengepreßt, stärker wird als die Wände, so fährt er nach allen
Richtungen gleichzeitig auseinander und entfaltet keine Arbeitskraft. Fast
schon diese mechanischen Gesetze Lußern ihre gefährliche Macht zurzeit.
Die siegreiche Revolution kann im Augenblick, was sie will. Die Ver-
suchung ist sehr groß, alles zu wollen und damit nichts zu können.

Dazu gesellt sich als Drittes ein ästhetisches Element mit stärkerer Kraft,
als seiner Bedeutung an sich zukommt.

Wir bewunderten die große Schönheit des geschloffenen Aufstiegs der
lange unterdrückten Massen. Für die nervengepeitschten Bedürfnisse unsrer

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