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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1919)
DOI Artikel:
Fuchs, Emil: Das freie Volk und die Kirche
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0083

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aber die Kirchen ganz außerordentlich stärken. Gewiß, ihren jetzigen Ver--
tretern und Beamten würde das Leben eine Zeitlang schwer gemacht.
Gleichzeitig würde man sie aber zwingen, alle ihre Willenskraft und alle
geistigen Werte, die in der kirchlichen Gemeinschaft verfügbar sind, auf--
zubieten. Der Kampf einfach ums Dasein würde die Kirche auf ungeahnte
Weise in ihrer geistigen Bedeutung stärken. Gewiß, es gibt Pfarrer ge->
nug, die nur aus äußern Gründen Pfarrer wurden und versagen würden.
Sie würden von der Zeit beiseite geschoben, den andern aber, den besseren,
würde eine ganz neue Autorität und dadurch ein neuer Einfluß im Bolks--
leben ersvachsen. Was die katholische Kirche im alten Kulturkampf erlebte,
würden neuerdings beide Kirchen spüren. — Nein, um der Kirche
willen brauchte man auch das rücksichtsloseste Vorgehen gegen sie nicht
zn fürchten. Zu fürchten ist es um des Staates willen, der sich eine
mächtige Gegenmacht schüfe, um des Volkes willen, das innerlich noch
mehr zerspalten und zerrissen würde als bisher — und um der Weiter-»
entwicklung der Religion willen. Denn für die geistigen Werte der
Frömmigkeit ist es eine Hemmung, wenn sie vom flutenden Leben der
Volksgesamtheit auf eine Insel abgesondert werden. Religion muß initten
im Leben sein, muß die Pflicht in sich spüren, die Weiten des Lebens
geistig zu durchdringen und mit sittlicher Kraft zu veredeln. Hat sie dies
Bestrebeu nicht mehr, so verkümmert sie zu einer engen Sorge um die be-
sondere kirchliche Gemeinschaft allein. Dann hört sie auf, dem Volke zu
dienen.

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Hvus Luthers Bibelübersetzung erwuchs mit der deutschen Sprache eine
^Vorbedingung unsrer einheitlichrn deutschen Kulturentwicklung und
Staatsbildung. Aus Luthers Bibel lernte Goethe deutsch reden. Paul
Gerhardts ^Befiehl du deine Wege" und seine vielen edeln Lieder sonst
klangen in den Kirchen durch tausend Hsrzen und weckten und pflegten in
ihnen die Gemütsregungen, deren Ausdruck sie waren. Wäre unser Dolk,
was es ist, ohne diesen Erzieher? Ist es einerlei, ob solche Lieder oder
Gassenhauer das tägliche Leben ungezählter Menschen begleiten? Ob
schon die Iugend sich am kirchlichen Beisammensein innerlich miterwärmt
und miterzieht, oder nur an Kino und Operette? Es war vieles falsch in
der Pflege des Gemütslebens durch unsre Kirche. Das Verhältnis von
Kirche und Staat bedarf einer Revision ohne Zweifel. Aber bei keinem
Entschlusse dürfen wir vergessen, daß die Religion eine Grundlage aller
Kultur und daß für sehr viele eine Religion ohne Kirche kaum möglich ist.

Es muß erreicht werden, daß der Volksstaat völlig frei von allen Ein-
flüssen außerltaatlicher Organisationen und Interessen die Volksgemein-
schaft vertritt und ihö dient. Es muß aber auch erreicht werden, daß reli-
giöse Gemeinschaften unbeeinflußt und ungehemmt von Augenblicksinter--
essen der Machthaber das Gemütslsben des Volkes pflegen können. Es
wäre gut, wenn die Neuordnung alle hierarchischen Herrschgelüste der
Kirchen zerbräche. Es wäre schlimm, wenn sie die Kirchen aus dem Volks--
ganzen hinaus zu Organisationen einzelner Kreise machte, die dem Volks--
ganzen kühl oder gar feindlich gegenüberständen. Die Trennung muß so
vollzogen werden, daß den Kirchen die Möglichkeit bleibt, ein sittliches
und religiöses Gemeinsames im Volk durch die ganze Höhe seines Baus
von den untersten bis zu den obersten Schichten zu sein.

Das wird geschehen, wenn das Trennungsgesetz, das ihnen alle Privi--

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