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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

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Heft 10 (2. Februarheft 1919)
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0127

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der Brücke über diesen Bach persönlich neben ihm nnd zeigte hinaus, leise
sprechend, daß wir die Ruhe der Landschaft nicht stören.

Die Kopfleiste ist ein Ausschnitt aus einem von Dürers Apokalypsen--
Blättern, das Schlußstück ein Bildchen der illustrierten tzausbuchausgabe von
Fritz Philipp Schmidt.

nsre Notenbeilage bringt zwei unveröffentlichte Lieder des vor wenigen
Wochen verstorbenen Otto Crusius. Beide gehören nicht dieser lauten
Zeit, nicht dem Alltagsgetriebe an. „Morgenfrühe" — klare, durchsichtige Har-
monien, ein ungemein einfaches zweitaktiges Motiv in zweimaliger Abwand-
lung, dann setzt die Singstimme mit vollkommener Ruhe ein: Morgenfrühe,
sel'ge Zeit, keine Wolke weit und breit, tiefe Stille, feierlich . . . Wer die
Liedliteratur kennt, weiß, daß ganz unbewegte, abgeklärte Naturstimmungeu
sehr selten erfaßt wurden. Nnr großen Meistern ist das gelungen, ohne daß
sie ins Farblose gerieten. Es scheint, daß die in der Zeit ablaufende Musik
sich der Spiegelung des Zuständlichen nur schwer fügt. Hier ist der kleine
Schatz der Lieder, die Stille und Reingestimmtheit festhalten, um ein gehalt-
volles Stück gemehrt. Nur wer mit einem Teil seines tiefsten Wesens be--
heimatet ist im Anvergänglichen, findet solche Töne. — Ienseitiger, tiefer hinein--
greifend in den Bereich mystischer Empfindungen und phantasiegeborener Vor--
stellungen gibt sich das zweite Lied: Ich fühlte dich im Arm. Die Wortr
haben jenen Klang, der nur ertönt, wenn nichts Zeitlich-Irdisches mehr die
Brust bewegt. Den Klang der Erlöstheit von Kleinem und Vergänglichem.
Sie halten ein Gesicht, ein Phantasieerlebnis fest, in dem heiße, unterdrückte,
nie erfüllte Wünsche der Kindheit- und Mannesjahre und letztes Ruhestreben
des Alters Wahrheit werden. Ein Wachtraum von unsagbarer Liebe und vom
seligen Sterben zu zweit. Melodie nrrd Begleitung, ohne ins Geruhige zu
fallen, halten, „ruhig fließend", die epische Art des Gedichts fest. Kein ekstatischer
Ton, kein Unterstreichen der überraschenden Vorstellungen, der inneren Er-
schütterungen. Viele Takte hindnrch ist jedes AHtel gefüllt, eine gleitende
Bewegung wird fühlbar, in innerem Zusammenhang mit dem visionären Hinaus-
gleiten des Dichters aus dem Leben. Und über der Bewegung der linken Hand
die großen Melodienbögen und gehaltenen Oktaven der rechten, auf Weite,
Stille, Glückseligkeit des Ienseits weisend. Erst unter den Worten „sammet-
weichem Moos" wird das musikalische Gewebe dichter, die Begleitung malender;
die neue Heimat ist erreicht, der Blick freier. In Traum und Schlummer ver°
klingt das Lied mit einer nngelösten, leicht fragenden und doch nicht quälenden
„Dissonanz", die wir kaum als solche fühlen. Soll sie mehr andeuten als di«
Empfindung, ob so nnsäglich erschauerndes Glückserleben nns gegeben sein könne?

An Spieler und Sängcr stellt das Lied nicht durch Schwierigkeiten, aber
durch die feine Difserenzierung jedes Taktes gewisse Ansprüche. Hier will
jeüer Ton, jede leise harmonische Wendung beachtet und doch keine „heraus-
geholt" sein. Erst wenn dies gelingt, werden Sehnsucht und Erschütterung so
stark fühlbar, wie sie hinter den Bildern nnd Tönen lebendig schwingen. Das
Lied ist ein Schwanengesarig, wenige Tage vor dem Ablcben des Komponisten
entstanden.

tzerausgeber- ll,-. k. c. Fcrd. Avenarius in Dresden-Blascwig; veranlwortlich! der tzcrausgcber —
Verlag von Georg D. W. Callwey, Druck von Kastner L Callwey, Buchdruckerei in München — In
Sstcrreich-Ungarn für tzerausgabc nnd Schriftleitnng verantwortlich: llr. Richard Batka tn Wien XIII/«
 
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