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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

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Heft 11 (1. Märzheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0145

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meinte aber, daß die Entente dazn
schwerlich stark genug sei, da anch ihre
Truppen den Kampf gegen die Russen
einfach verweigert hätten und Frei-
willigenkorps schwer zu bilden seien.
In der Tat haben die Engländer
Archangelsk, wie ich höre, räumen
müssen, weil ihre Truppen den Kampf
einfach verweigerten; ebenso haben die
französischen Lruppen das Vordringen
in die Ukraine abgelehnt. Man hat
sich dann auf diplomatische Ver-
handlungen beschränken wollen und die
Russen zn Verhandlungen nach den
Prinzeninseln eingeladen, was die
Russen stolz ablehnten. Dieser diplo-
matische Erfolg hat wieder die Stel-
lung Lenins in dem völlig verelendeten
Rußland gefestigt, wo sie nur durch
solche Erfolge sich halten können. In-
zwischen besorgen die Esthen mit Hilfe
von HOOO Finnen und einigen Schwe-
den, sowie unsern in Litauen stehen-
den Freiwilligen den vorläufigen
Schutz. In Innerpolen soll der Bol-
schewismns fürchterlich hausen; Ge-
naues weiß man nicht, doch hat man
nicht bloß mit russischem, sondern auch
mit polnischem Bolschewismus zu rech-
nen. Ein tschechischer uud österreichi-
scher existiert glücklicher Weise 'nicht.
Die Folgen dieser Lage sind für jeder-
mann einleuchtend. Es wird eine Ver-
bündung aller Staaten und aller Ord-
nungssozialisten gegen den Bolschewis-
mus wenigstens denkbar und damit die
Möglichkeit eines Rechtsfriedens auch
bei den durch eigene Gefahr zu Hause
bedrängten westlichen Zerrenschichten
«twas näher gerückt.

Wie unsere eigene Regierung in
dieser Sachlage denkt und hofft, wissen
wir nicht. Herr Erzberger, der klug
ist, aber doch mehr zu den geistig ein-
fachen Naturen gehört, macht eineu
Teil unserer Politik. Unser Auswär-
tiges Amt ist eng gebunden. Man
mnß von Herrn Solf die Kämpfe zweier
Monate, vor allem die mit Herrn Haase,
erzählt hören und seine Akten einsehen,
um zu begreifen, daß hier fortwährend
ein zerreibender Kampf zwischen Poli-
tik und Antipolitik stattfand, bei dem
die Mehrheitssozialisten sich doch immer
nicht recht von den mit den Auab-
hängigen gemeinsamen Dogmen trennen
mochten. Als es sich um das Halten

unserer Stellung in Rußland bis zur
Rettung der ungeheuren Vorräte und
Materialien handelte, erwiderte Haase,
auf Bismarcks Stuhl sitzend, eisig, es
sei ihm gleichgültig, . wenn Milliarden
verloren gehen; er wolle, daß kein deut-
scher Soldat auf russischem Boden stehen
bleibe. Als man Herrn Haase auf die
Gefahr des Einbruches des Bolschewis-
mus in Ostpreußen hinwies, zuckte er
mit den Achseln. Damit war der Osten
preisgegeben, soweit nicht die Truppen
aus eigenem Antrieb retteten, was noch
zu retten war. Was die Doktrinen
der Anabhängigen in der Zeit des
Duumvirats uns gekostet haben — ge-
kostet in jedem Sinne —, das ist un-
aussagbar und setzt sich in seinen Fol-
gen forü bis zum heutigen Lage.
Augenblicklich kostet es uns auf dem
Berner Sozialistenkongreß sozusagen die
Ehre, indem die Eisner und Kautskh
wetteifern in hhsterischen Selbstbeschul-
digungen des deutschen Volkes und des
alten Regimentes ohne jede Rücksicht
auf die in der Weltlage selber liegen-
den Explosionsgefahren.

Kann man derart von der Lösung
der auswärtigen Aufgaben durch die
jetzige Regierung kein rechtes Bild ge-
winnen, so ist das wenigstens etwas
leichter bei den inneren Aufgaben.
Hier steht in erster Linie die Aufgabe
der Schöpfung einer Miliz, die Zu-
rückführung der Arbeiter- und Sol-
datenräte auf lediglich beratende und
kontrollierende Funktionen, die Aber-
windung der Arbeitslosigkeit und Ar-
beitsscheu und die Ordnung der eng
damit zusammenhängenden Valnta- und
Ernährungsfrage. Das Schaffen der
Miliz ist maßlos schwierig. Die Werbe-
bureaus gleichen bisweilen denen der
Landsknechtszeit; alles mögliche Ge-
sindel kommt, das den Sold will, aber
dem man keine Waffe in die Hand
geben darf und vor dem nicht ein
Taschentuch in der Kaserne sicher ist.
Hoffentlich ist dies düstere Bild, das
mir neulich ein Beteiligter zeichnete,
vereinzelt; aber es beleuchtet immerhin
die Schwierigkeit. Die Gesundung und
Ambildung der Armee geht jedenfalls
ganz langsam vor sich. Sie wird auch
von den Offizieren nicht so unterstützt,
wie es — unter freilich erheblicher
Selbstverleugnung — sein müßte. Läßt

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