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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Huxdorff, Ernst: Subjektives und objektives Urteil
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0027

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HANS
l'UKRMANN.
ITALIENISCHE
LANDSCHAFT.

SUBJEKTIVES UND OBJEKTIVES URTEIL.

Jeder Eindrucksfähige kann, vor ein Bild ge-
stellt, ohne langes Besinnen angeben, ob das
Werk ihm gefalle oder nicht. Ob uns nun das
Bild schön und wertvoll erscheine, weil wir —
wenn auch unbewußt — etwas von unserm
eigenen Wesen darin wiederfinden, also aus
Freude an einer geistigen Selbstbespiegelung;
oder ob gerade die dem Ich entgegengesetzte
Eigentümlichkeit des Bildes uns reize, aus einem
Drang nach Selbstbereicherung: — stets be-
ruht das subjektive Urteil auf dem Verhältnis,
das zwischen dem Bilde und dem individuellen
Charakter des Betrachtenden herrscht.

Aus den Schranken des Individuellen sich zu
befreien und die Möglichkeit eines objektiven
Urteils zu schaffen, ist seit jeher das Streben
der denkenden Menschheit gewesen. Als erster
mit eindringlicher Klarheit hat es Schopenhauer
ausgesprochen, wie durch Ausschaltung des
..Willens" die „reine Anschauung" und mit ihr
die Erkenntnis des absoluten Wertes zustande
kommt, ohne daß er jedoch eine praktische
Anweisung zur Urteilsschulung gegeben hätte.
Andererseits mußte jegliches Bemühen, auf
direktem, wissenschaftlichem Wege, etwa durch
historische Ableitung oder durch eine ver-

gleichende Kritik, zu einem zuverlässigen Werte-
system zu gelangen, ohne Ergebnis bleiben, weil
man von vornherein einen relativistischen Stand-
punkt eingenommen hatte.

So ergibt sich, daß der Maßstab zu einem
objektiven Urteil nicht im Betrachter und ebenso
wenig in den Beziehungen der zu beurteilenden
Dinge untereinander, sondern allein in dem
einen vorliegenden Objekt selbst gefunden wer-
den muß. — Welches ist nun der im Kunstwerk
enthaltene Wertmaßstab?

Der Künstler, der zum Pinsel greift, hat in
den seltensten Fällen eine deutliche Vorstellung
von dem dereinst fertigen Bild. Wohl aber er-
füllt ihn von dem Augenblick an, wo ihm ein
künstlerisches Erlebnis zuteil ward und zur Ge-
staltung drängt, eine innere Spannung, die an
Intensität der Tiefe des Erlebten entspricht und
ihn nicht eher losläßt, als bis das Werk vollendet
ist. Dem Betrachter nun, der vor das Werk
tritt, entwickelt sich dessen Werdegang in um-
gekehrter Richtung. Was er zunächst spürt, ist
die sinnliche, sofort aber auch ins seelische
verwandelte Wirkung. Diese Erschütterung, die
er von dem Bilde erfuhr, ist das Beste, ist alles,
was ihm die Kunst schenken kann. Darin völlig

XXIX. Oktober 19i45. 8
 
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