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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Michel, Wilhelm: Zur Begründung der "Neuen Sachlichkeit"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0335

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IN EGGER—I.IEN/.

AQUARELL MITTAGESSEN«

ZUR BEGRÜNDUNG DER „NEUEN SACHLICHKEIT"

Neue Sachlichkeit" soll im Folgenden nicht
gepredigt, sondern begründet werden.
Begründet als eine allgemeine Kunsttendenz
des gegenwärtigen Augenblicks, die ganz sicher
vom Standpunkt einer totalen Kunstbetrachtung
einseitig ist, die aber in der Gunst der jetzigen
Stunde steht und einen notwendigen Durch-
gangspunkt zu Künftigem zu bilden scheint.

Zu dem Schlagwort „Krisis der Kultur" hat
sich neuerdings das Schlagwort „Krisis der Kün-
ste" gesellt. Der nüchterne Sachverhalt, der
diesem Worte zugrunde liegt, ist in Kürze der,
daß durch die ganze Breite unsres Geisteslebens
hin eine Begierde nach objektivem Tat-
bestand, ein Mißtrauen gegen die sub-
jektive Ausdeutung oder Randbemerkung
gegeben ist. Zwar steht heute noch wie immer
fest, daß es in der Kunst wie in der Wissen-
schaft kein Weltbild gibt ohne erhebliche sub-
jektive Beimengungen. Der Mensch sieht nicht
Dinge „an sich", sondern Erscheinungen,
also Zusammensetzungen aus realem Sein und
geistigen oder gemüthaften Zutaten. Aber wenn
dies eine zeitlose, immerwährende Wahrheit ist,
so wechselt in der Kunstgeschichte doch sehr

die Anwendung, die die Künste dieser Wahrheit
geben. Es mischt sich das bewußte menschliche
Wollen hinein und bringt bald eine Überbe-
tonung der realen, bald eine Überbetonung der
geistig-gemüthaften Bestandteile. Die Ausge-
wogenheit zwischen beiden, die Gleichzeitigkeit
von vollkommener Realität und entschiedener
geistiger Durchwirkung, ist in der Kunstge-
schichte, zumal in der neueren, nur selten auf-
getreten.

Die Lage ist nun heute so, daß unser Haupt-
interesse den objektiven Bestandteilen unsres
Weltbildes gilt. Wir empfinden eine instinktive
Abwehr gegen die subjektiven Zutaten. Wir
wünschen sie möglichst auszuschalten; ja wir
sind nicht weit davon entfernt, sie als Störungen
und Verfälschungen aufzufassen. Es steht gar
nicht in Frage, ob uns diese extrem realistische
Gesamtrichtung des Zeitgeistes paßt oder nicht;
es gilt lediglich, sie als eine Tatsache ins Auge
zu fassen und womöglich zu erklären. So weit
die Kunst in Betracht kommt, läßt sich eine dem
Anscheine nach sehr einfache Erklärung geben.
Die letzte, die expressionistische Wendung der
Kunst hat der Überbetonung des subjektiven
 
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