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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Niebelschütz, Ernst von: Über die soziale Stellung der Kunst im Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0267

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ÜBER DIE SOZIALE STELLUNG DER KUNST IM LEBEN

VON KKNST V. N1EBE1..SCHUTZ

Unsere moderne Auffassung der Kunst als
einer freien Geistesmacht unterscheidet
sich durchaus von der Bewertung, die ihr das
Altertum und auch das ganze Mittelalter
hat zuteil werden lassen. Die Forderung der
Unabhängigkeit für das künstlerische Schaffen
und des „l'art pour l'art" bezeichnet erst eine
späte Etappe im Geistesleben der Menschheit.

Schon die großen Denker des Altertums
schätzten das Bildwerk, aber nicht den Künst-
ler, der es im Schweiße seines Angesichts her-
vorbringt. Die Kunst selbst, d. h. das gestaltende
Vermögen der Hand, gehört für sie in die lange
Reihe der auf körperlicher Anstrengung und
Lohnerwerb beruhenden Fertigkeiten, die sie
„banausisch" nennen und die deshalb von den
„freien" Künsten, dem Vorrecht der geistigen
Elite, grundsätzlich unterschieden werden. All-
gemein bekannt ist die von Lukian mitgeteilte
Traumerzählung, die Philosophie und Bildhauer-
kunst auftreten läßt und mit einer wahrhaft
vernichtenden Niederlage der letzteren endet.
Dem göttlichen Piaton gar ist der Künstler
kaum etwas anderes als ein Possenreißer. Geht
man den Ursachen dieses uns so befremdlichen
Verdiktes nach — in Julius Schlossers „Kunst-
literatur" sind sie erschöpfend behandelt — so
findet man sie einmal in der ganz aristokra-
tischen Gesellschaftsordnung der Antike, vor
allem aber in der eigentümlichen Richtung des
griechischen Intellektualismus, dem nur das
reine, theoretische Erkennen als die eines freien
Geistes würdige Betätigung galt. Aus dieser
allem Handwerklichen von vornherein feindlich
gesinnten Auffassung erklärt sich auch die
höhere soziale Bewertung der Poesie und na-
mentlich der Musik, die freilich nur dem ma-
thematisch-theoretischen Teil ihres Wesens diese
bevorzugte Stellung verdankt. Natürlich muß
auch die Architektur mit einem recht be-
scheidenen Platz innerhalb der mechanischen
Künste vorlieb nehmen. Kein Parthenon und
kein olympischer Zeustempel waren imstande,
diese Auffassung wesentlich zu erschüttern. Als
Wohnsitze der Götter waren sie in aller Welt
hochberühmt, aber kein heute längst vergesse-
ner Sophist hätte deshalb seinen Platz im so-
zialen Leben mit einem Phidias eingetauscht.

Nicht anders war es im christlichen Mittel-
alter, das wie in so vielem andern so auch hier
in den Spuren des Altertums wandelt. Galt
ihm die Kunst doch nur als ein Mittel zu einem

höheren Zweck, als Hinweis zu einem wür-
digeren Leben im Jenseits. Nach ihrer Aufgabe,
Gott und seiner Kirche zu dienen, den Armen
im Geiste das Evangelium auszulegen, bestimmt
sich ihre Stellung im Leben. Was an ihr ge-
schätzt wird, ist neben dem geistig-dogmatischen
Inhalt, der immer die Hauptsache bleibt, der
Materialwert und schließlich auch der Her-
stellungsvorgang, worunter aber weit mehr die
technische als die geistige Arbeit verstanden
wird. Das erklärt hinreichend ihren Ausschluß
aus dem Reigen der „freien" und ihre Einglie-
derung in die „mechanischen" Künste. Theorie
und Praxis trennen sich hier ganz scharf, und
eben weil die Kunst in ihrem ausübenden Teil
der Praxis angehört, bleibt sie auch das ganze
Mittelalter hindurch handwerklich, d. h. zünftig
gebunden. Der Maler z. B. ist kurzweg der
Farbenreiber, der mit dem Apotheker zusammen
in einer Gilde vereinigt ist. Der Künstler ver-
schwindet vollständig hinter seinem Werke, das
nach mittelalterlicher Auffassung auch weit mehr
dem Auftraggeber — als dem geistigen Ver-
ursacher! — gehört als der ausführenden Hand.
Daher die Anonymität der Künstler noch in
einer Zeit, wo es längst üblich ist, die Namen
der Bauherrn und sonstigen Stifter sorgfältig zu
überliefern. Erst spät, in Italien früher als im
Norden, darf sich das dienende Werkzeug, der
Künstler, inschriftlich nennen, wenn auch meist
nur an unauffälliger Stelle. Mit zunehmendem
Persönlichkeitsbewußtsein fehlt es denn auch
im späten Mittelalter nicht an Versuchen, die
bildenden Künste, zumal die Malerei, auf eine
höhere Stufe der sozialen Rangordnung zu heben,
sie zum mindesten den theoretischen Wissen-
schaften unmittelbar folgen zu lassen. Der
innere Unterschied gegenüber der Medizin, dem
Ackerbau und den übrigen „mechanischen" Fer-
tigkeiten drängte sich denn doch gar zu offen-
kundig auf, um auf die Länge übersehen werden
zu können. Auch hier ging Italien voran. Der Nor-
den folgte langsam und fast gegen seinen Willen.

Erst wenn man diese Einschätzung der Kunst
in der Tiefe erfaßt, begreift man die weltge-
schichtliche Tragweite der Kunsttheorie eines
Leonardo da Vinci und der auf seinen Schul-
tern sich erhebenden Ästhetik der Renaissance,
die der gesamten antik-mittelalterlichen Rang-
ordnung den Rest gibt und der Lehre von der
Freiheit des „Schönen" aus eigenem Gesetz
die entscheidende Bresche bricht..... e. v. n.
 
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