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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Schiebelhuth, Hans: Das Gesicht zukünftiger Städte
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0109

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DAS GESICHT ZUKÜNFTIGER STÄDTE.

Das Gesicht zukünftiger Städte ist eine Frage,
wie sie heute schon nicht nur die Verfasser
utopischer Romane vom Schlage des H.G.Wells
beschäftigt, sondern mehr noch die moderne
Architektur. Während man in unserm „ armen, ach
so rückständigen" Europa vorerst nur auf dem
Papier, das Papier bleibt, an die unbeschreib-
lichen Erkühnungen herantritt, auszuklügeln
hat, wie sich der neuzeitliche Zivilisationsaus-
druck dem bisherigen Stadtbild auf- und über-
prägen läßt, und sich schon Wunders wie
modern glaubt, wenn man sich an das Problem
der bunten Stadt heranwagt, geht man indessen
in der reichen, fort schrittlichen Welt jenseits des
großen Wassers, wo das Stadtbild ja schon an
sich eine reine Realisation des Modernen dar-
stellt, an die Zurüstung und die exakte Aus-
planung füi die zu kommende Tat. So sind in
New-York alle Anzeichen für rapiden Weiter-
wuchs ins Ungeheure gegeben. Kaltblütig sieht
der Direktor der Stadtplanung der Zukunft ins
Auge und versichert, daß auf dem Arreal der
Metropole sich Wohnunterkunft für sage und
schreibe vierundsiebenzig Millionen Menschen
schaffen läßt. Die junge Architektengeneration,
voran der leider vor kurzem verstorbene Ber-
tram C. Goodhue und der geniale Hugh Ferriss,
steht geistig schon mitten in der Bewältigung
derAufgabe. In einerAusstellung seiner Arbeiten
widmete Ferriss ein ganzes Gemach seinen Bau-
plänen für die Zukunftsstadt, mit Entwürfen,
die sich durchaus und streng an das konkret
Realisierbare halten. Man wird des Staunens
nicht müde, wenn man Reproduktionen dieser
Pläne betrachtet. Da ist ein ragender Fabelturm,
der unter dem Druck der noch bestehenden
Bauvorschriften die erkleckliche Höhe von „nur"
fünfhundert Metern erreichen darf, frei und
adlig ansteigend, in ruhigen Maßen und Massen.
Da ist eine Straßenanlage nach einem viel-
besprochenen Verkehrsplan gebaut: die Straße
ist untertunnelt für den Bahnverkehr, hat in
voller Breite eine Überführung, mit Übergangs-
schächten, sodaß der Automobilverkehr nach
beiden Seiten sich aufs einfachste bewältigt,
die Bürgersteige sind ungefähr in der Höhe
des vierten Stocks, altanartige Geländer, wie
Nischen längs der Straßenfronten gebaut,
miteinander durch Brücken, mit den Unter-
straßen durch Treppen und Lifte verbunden.
Der Urheber dieses Verkehrsplans, Harwey
W. Corbett, spricht sich dazu aus: „New-

York wird eine Titanenstadt werden, eine halbe
Meile (700 Meter, fast dreifache Höhe desWool-
worth Tower!) aufragend, sechzig bis fünfund-
siebzig Quadratmeilen an Ausdehnung, ein
pyramidaler Platz, der Verkehr wird durch Tun-
nels gehen, auf beweglichen Plattformen, über
Galerien: horizontal hinziehende Räume wer-
den so alltäglich sein, wie heute die vertikal-
gezogenen Lifte, man wird die Leute in ihnen
in dreißig Minuten achtzig Kilometer weit
schießen wie Packbünde!." Ferriss sieht die
Sache mehr von der architektonischen als der
technischen Seite, seine Stadt ist ein Alpen-
gebirge aus Häusermassen, mit spitzzinnigen
aufschießenden Riesentürmen, mit großen son-
nigen Plätzen und Hochterrassen und hängen-
den Gärten, ein Babel aus Schönheit und Sach-
lichkeit. — Jedenfalls, die vierundsiebzig Mil-
lionen werden unterkommen in diesen „nied-
lichen" Gebäuden. Noch glücklicher vielleicht
als die New-Yorker sind die Städteplaner in
jenen Ländern, wo die Metropolen noch aus dem
Boden zu schießen haben. Eine vielerörterte Idee
ist der „Honey-Comb-Residential-Plan", der
Plan der wabenförmig angelegten Wohnstadt.
Ihn empfiehlt Noulan Cauchon, Präsident des
Städteplaninstituts für Canada, weil hexagonale
Straßenanlage Licht für alle Häuser, Sonne von
allen Seiten, bessere Belüftung ermöglicht und
bei gleichem Platzverbrauch wie bei rechteckigen
Baublöcken an Straßenlänge gespart wird. Im
Innern der Straßenwaben sind gemeinsame,
parkartige Gärten geplant; auch das Verkehrs-
problem für dieWabenstadt ist bereits gelöst,das
Zurechtfinden auf den Zickzackspuren wird dem
Fußgänger überlassen bleiben, das Geschäfts-
viertel behält die rechteckige Blockführung bei,
während der Fahrverkehr auf „Interceptor"-
Hochdämmen durch dieWohnstadt geleitet wird.
— Man sieht, das Gesicht der Zukunftsstädte
beginnt sich zu enthüllen, es wird wohl vieles von
diesen Planungen wahr werden, vielleicht auch
bei uns in Europa. In dreißig oder in fünfzig Jah-
ren werden die Dichter, so wie Euripides von der
„ sanftgraukronigen Stadt des Lichts, der Athenä
Tochter, der funkelnden" sang, von den Metro-
polen der himmelstürmenden Türme, den Städ-
ten aus Stahl, den Töchtern des Reichtums
und der Geschäftigkeit, den gewaltig dröhnen-
den, strahlenden, und „honigkammigen" Wohn-
cities, parkdurchinselten mit den donnernden
Hochdämmen, sprechen. hans schiebelhuth.
 
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