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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Schürer, Oskar: Exposition internationale des Arts Décorativs et industriels modernes, Paris 1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0034

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EXPOSITION INTERNATIONALE DES ARTS DECORATIVS
ET INDUSTRIELS MODERNES. PARIS 1925.

Was soll man zu dieser mit so viel Auf-
hebens ins Werk gesetzten Ausstellung
sagen? Soll man, nur weil man als Deutscher
unbeteiligt ist an diesem Unternehmen, soll
man deswegen mit lauem Urteil drüber hinweg-
gehn ? Dies laue Urteil aber doch durch den
unausgesprochenen Vorbehalt profilieren : Wir
Deutschen machen es besser. Soll man nicht
eher in dieser seltsamen Äußerung des Weltge-
schmacks eine verbindliche Angelegenheit des
europäischen Kunstgewerbes überhaupt sehen,
u. angesichts ihrer unverhohlen aussprechen, was
sich hier unzweideutig aufweist: eine Bankerott-
erklärung der praktischen Formung, ein radi-
kales Unvermögen, die so verschieden gerich-
teten Kräfte der Gegenwart in einheitliche
Linien zu zwingen, aus denen Anwendung und
Schmuck als organische Früchte herauswachsen.

Es geht auch nicht an, aus dieser Unmenge
des Angehäuften einiges Gute herauszuklauben,
an ihm eventuelle richtungsweisende Linien
aufzuzeigen. Die Übermacht des andern spottet
solcher Versuche, sagt unverhohlen genug, daß
gegen dessen erdrückende Wucht nichts an-
kommt. Nein, hier redet die Welt der Tatsachen
eine allzudcutliche Sprache, und man hat sie
aufrichtig zu referieren, um alle Illusionen künf-
tig zu vermeiden. Die heutige Welt hat nicht
nur keinen Stil, — sie hat auch keinen Ge-
schmack. Fassade und Kitsch sind die Götzen
der Menge, und gar, wo sie hübsch illuminiert
sind, da werden sie fröhlich umtanzt. Spezieller
ausgedrückt: Man bilde sich ja nicht ein, daß
die guten neuen Ideen auf dem Gebiete der
angewandten Künste irgendwie Wurzel gefaßt
hätten in der Weltproduktion dieses Zweiges.
Man spreche nicht mehr von einer Hebung des
Allgemein-Niveaus in Dingen des Geschmacks,
von ehrlicher Formkultur ist schon gar nicht zu
reden. Die Masse der sogenannten europäischen
Zivilisation rekelt sich in einem Sumpf von
Unform und Chaos und verbrämt ihn mit an-
spruchsvollem Geschwätz.

In solcher Gesamtfeststellung sind alle andern,
diese Ausstellung betreffenden Fragen mitbe-
antwortet. Da ist z. B. die nach der grundsätz-
lichen Problemstellung, die diese Veranstaltung
fundieren sollte: Internationale Ausstellung der
modernen angewandten und industriellen
Künste! Wie hat sich die hier waltende Jury
den Begriff „modern" ausgelegt. „Modern ist,
was in nichts an Altes erinnert." Also eine

Buchstabenmodernität, die allerhand Lügen im
Gefolge haben mußte. So die summarische, daß
alles nie-zu-unterdrückende Gestern — vor
allem im hier tonangebenden Frankreich nie zu
unterdrückende Gestern — in Windungen und
auf Schleichwegen sich hereinstehlen mußte und
so eine Art von Jugendstil ergab, aber einen
durch diese Motivierung aller ursprünglichen
Kraft beraubten Jugendstil, der in lauter Atrap-
pen und verballhornten Klassizismen sich nicht
genug tun kann. Das gilt für die Architektur
eines Plumet z. B. (mit ihrer Pseudo-Monumen-
talität in den beherrschenden Türmen) geradeso
wie für das meiste Kleingewerbe. Und sogar
noch in der Mode, der Spezialität des franzö-
sischen Geschmacks, ist es bemerkbar (sodaß
die Bemerkung, man habe es in den hier ausge-
stellten französischen Mode-Erzeugnissen mit
dem ins Elegante und Mondäne aufgelockerten
Reformkleid der Deutschen um 1900 zu tun,
gar nicht so unrichtig war). Dieser falschver-
standene Begriff von Modernität spukt auf
dieser Ausstellung überall, und es ist zu be-
fürchten, daß die Prämiierungsjury dem gleichen
Mißverständnis fröhnen wird, wie es seitens
der Zulassungsjury geschehen ist.

Das andere Problem, das in der Bezeichnung
der Ausstellung aufgerollt ist, bezieht sich auf
industrielle Kunst. Hiermit ist die Kardi-
nalfrage der heutigen Entwicklung berührt. Die
Umstellung vom handwerklichen auf den in-
dustriellen Betrieb ist Stigma der Gegenwart,
Herausarbeitung der für diese gültigen Gesetze
ihre Forderung. Hat hier diese Ausstellung
Wesentliches zu sagen? Wir fanden von autoch-
thoner industrieller Kunst faßt nichts. Frucht-
bare Versuche wie die des „Esprit Nouveau"
z. B. sind — faßt möchte man an Absicht glauben
— ganz zur Seite gedrückt. Keramik und Holz-
industrie huldigen in der Überzahl noch den
alten, im Industriebetrieb zur Lüge gewordenen
Handwerksgesetzen (Originalitätssucht, schwere
Schnitzereien und ähnliches). Oder die betref-
fenden Techniken zerschleißen sich in leeren
Geschmacksorgien. Fast nirgends wurde in der
Ausstellungsarchitektur dem Beispiel der im
praktischen Leben doch schon führenden Indu-
strie-Architektur gefolgt. Gewiß, eine Ausstel-
lung verlangt Fröhliches, Festliches, nicht nur
Sachlichkeit. Dennoch — mußte dieser Charakter
denn so unausweichlich mit Kitsch verwechselt
werden, oder auf der andern Seite mit Bombast ?
 
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