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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Sydow, Eckart von: Ein neuer Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0043

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JOSEF EHER/.—MÜNCHEN.

1EM -\I.! >E »TANZSTUNDE«

EIN NEUER KLASSIZISMUS?

Seit etlichen Jahren herrscht in der deutschen
Kunstpolitik so etwas, wie Burgfrieden.
Nach der Erregung des Expressionismus hat
eine Stille eingesetzt, die manchmal etwas Be-
unruhigenderes in sich trägt, als das frühere
Gewühl der Leidenschaftlichkeit. Die einzige,
noch folgerichtig auf Neuerungen bedachte Rich-
tung, welche das Bauwerk allem malerischen und
plastischen Streben zu Grunde legen möchte,
hat auf diesen Nebengebieten keine rechten
Früchte gezeitigt. Da scheint es zunächst eine
fast selbstverständliche Folgerung zu sein, wenn
man vielfach im Inlande und Auslande von der
Notwendigkeit einer neuen Klassizistik sprechen
hört. Denn was liegt näher, als daß nach dem
Vorüberrauschen einer starken Windsbraut alle
Kräfte, die sich ihr entgegenstemmten, nun freie
Bahn vor sich sehen und fühlen? Historische
Erinnerung an die Reihenfolge: Sturm und
Drang und dann der Klassizismus, tritt hinzu,
um auch uns Gegenwärtigen solche Folge an-
nehmbar und erwünscht erscheinen zu lassen.

Der Einwand, der sich sogleich auf die Zunge
legt: die neuen Klassizisten Frankreichs und

Deutschlands seien nicht eben überwältigend
stark, und Picasso zumal habe in früherer Zeit
Besseres vollbracht, — dieser Einwand könnte
wohl zunächst fruchtlos bleiben. In der Tat:
wäre der Klassizismus eine innere Notwendig-
keit unserer und der kommenden Tage, so würde
er später oder früher auch seine Kunstblüte
öffnen. — Aber: ist er eine innere Notwendig-
keit? Ist es wirklich so, daß jene edle Würde
und stille Einfalt Winckelmanns ] wieder als
Rettung gepriesen werden müßte, wie in jener,
seiner Zeit des Rokoko? Der Klassizistik eige-
nes, kurzlebiges Dasein mag uns warnen, denn
aus ihr wuchs vielwuchernd die Romantik her-
vor. Diese ist es, die unser Leben in seiner
ganzen Tiefe und Höhe erfüllt und erregt hat.
Kampf ums Dasein — das Unbewußte — das
Religiöse, all diese weltweite Gedanken- und
Gefühlswelt hat sich in uns und um uns er-
öffnet. Wie könnten wir sie wieder verschließen,
da doch all unser Sinnen und Trachten um sie
kreist, sobald wir nur wahr denken und tief
fühlen. Das unendliche Verflochtensein mit
der Tiefe des Abgrundes des Negativen und
 
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