Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten (57.1925-1926)

NEUE TIER-PLASTIKEN VON RENEE SINTENIS.

Von Zeit zu Zeit einer neuen Tier-Bronze
von Renee Sintenis zu begegnen, zählt zu
den wenigen schon feststehenden Freuden, auf
die der Betrachter moderner Kunst rechnet und
rechnen darf. Es gehört zu den vielen Quali-
täten dieser seltenen Künstlerin, daß sie die
Freunde und Bewunderer ihrer Kunst nie
enttäuscht. Eine ungewöhnlich strenge Selbst-
kritik, die sehr hohe Ansprüche an die eigene
Arbeit und Leistung zu stellen gewohnt ist, wird
hinter all der Grazie und Liebenswürdigkeit
dieser kleinen Tier-Bronzen sichtbar. Durch
noch so große Begabung allein ist ja auch eine
so schöne und stetige Entwicklung nicht zu er-
klären. Nicht oft kann man an dem Gesamt-
werk eines Künstlers die chronologische Reihen-
folge so deutlich ablesen, wie an dem Werk
Renee Sintenis. Nur ganz, ganz selten unter-

bricht eine weniger gelungene (oder weniger
überzeugende) Plastik diese ruhig aufsteigende
Entwicklungslinie.

Wie deutlich wird zum Beispiel Fortschritt und
Entwicklung, wenn man den jungen Zwergesel
von 1925 (Wachsmodell) mit dem stehenden
Esel von 1923 vergleicht. Obwohl auch die
Arbeit von 1923, allein gesehen, durchaus über-
zeugend, fertig und vollendet erscheint, so sieht
man doch beim Vergleich, welche Entwicklung,
welche wahrhafte Vollendung noch möglich war,
— und Wirklichkeit wurde.

Oder wenn man das ausschlagende Fohlen
(1923) mit den drei Variationen über das Thema
„Zebu-Kälbchen" (1924) vergleicht. Welch
schöner Weg zur Sparsamkeit der Mittel, zur
Einfachheit, zur Ruhe! Versteht man bei der
Betrachtung dieser drei Tier-Bronzen nicht

XX'X. Oktober 1925. T

61