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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Rochowanski, Leopold W.: Österreich auf der Pariser Ausstellung
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Schwabacher, Sascha: Kitsch und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0090

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Österreich auf der Pariser Ausstellung.

Hugo Gorge, Josef Frank, Walter Sobotka,
Oskar Wlach und Carl Witzmann beteiligt sind.
Es ist viel Kultiviertes, viel Schönes, aber auch
manch Gesuchtes zu bemerken. Daß man noch
immer Kästen und Schränke baut, um mit diesen
vorsintflutlichen Ungeheuern die Raumwirkung
zu zerstören, ist gänzlich unfaßbar.

Doktor Adolf Vetter, der bevollmächtigte
Generalkommissär Österreichs, verstand es, so-
wohl die unvermeidlichen Schwierigkeiten, als

auch die Wirkung nach außen durch seine vor-
nehme, stets aufs Geistige gerichtete Gesell-
schaftsform zu festigen.

Kampf! Aber Kampf ohne Haß! Das ist das
gewaltige Ziel, der Höhepunkt der Kultur, dessen
sich die zivilisationsgeknechteten Völker bewußt
werden müssen. In Paris ist das Panorama der
Arbeitskräfte so vieler Erdenländer aufgetan und
lädt zum Schauen und auch zum Denken und
Sichbesinnen ein............. w. r.

KITSCH UND KUNST.

Kitsch ist ein Schlagwort neuester Obser-
vanz. Das englische Wort „Sketch" hat
darin eine drollige und differenzierte Wertung
erhalten, die man bis in die Fingerspitzen zu
fühlen glaubt. Jeder weiß oder meint zu wissen,
was Kitsch ist. Aber sein Geltungsgebiet ist
schwer zu begrenzen.

Daß die Simili-Brosche, die sich als echten
Diamanten aufspielt, die Stehlampe mit Grammo-
phoneinbau (eine „Errungenschaft der Neuzeit",
die man auf den letzten Messen bewundern
konnte), daß die Wohnkultur des Herrn Raffke,
dessen Bibliothek als Likörschrank dient, Kitsch
ist, darüber besteht kein Zweifel. Aber harm-
losen Gemütern ist schon nicht ganz deutlich,
daß auch die tugendhafte Frisierung des Welt-
bildes im Courths-Mahler-Roman, die schwung-
voll hohle, politische Phrase, der schmalzige Lie-
besseufzer eines Kabarettliedes und tausend an-
dere „Verbesserungen der Wirklichkeit" Kitsch
sind. Und was dem Einen Kitsch ist, ist dem
Andern Erbauung. Es kommt auf die subjek-
tive Einstellung an, abgesehen davon, daß die
objektive Grenze zwischen Kitsch und Kunst
fließend ist. Wenn ein europäisches Ladenfräu-
lein über das Liebeserlebnis einer Kinoprinzes-
sin in Schmerz sich auflöst, oder wenn im Süden
das Volk dem Pathos eines Operettenhelden fre-
netischen Beifall jauchzt, so schafft die ehrliche
Empfindung den gebotenen Kitsch zur Kunst
um; denn Signum des Kitsches ist die Lüge.

Kitsch ist immer und überall Gegenteil vom
Echten, vom Organisch-Notwendigen; Kitsch ist
niemals Hingabe an das Objekt, an das Wesen
der Dinge. Kitsch kokettiert mit dem Käufer,
mit dem Beschauer, mit sich selbst. Dieses Ne-
gative ist das Zeichen des „Kitsch", den man
nach Laune, Anlage und Temperament mit Ge-
sinnungstreue bekämpfen, mit irritierten Nerven
ablehnen, mit freundlicher Nachsicht belächeln
oder bei robuster Natur genießen kann.....

Der reine Kitsch, sozusagen Kitsch an sich,
existiert nicht. In dem Moment, wo der Kitsch
sich zu sich selbst bekennt, wird er Humor,
Satyre oder Groteske wie bei Busch, Morgen-
stern, Groß. Die Grenze, wo Lüge und Wahr-
heit, Empfindung und Empfindelei zusammen-
kommen, die Stelle, wo das Gefühl in Sentimen-
talität umschlägt, wo Wahrheit ins Geleise der
konventionellen Phrase rutscht, ist das Gebiet
Dessen, was man „Edelkitsch" nennt. Gerade
die subtilsten und persönlichsten Wallungen,
die sich schwer aus dem Unterbewußtsein ins
künstlerische Leben heben lassen, sind gefährdet.
Der Künstler greift manchmal aus Ängstlichkeit
nach dem geläufigen Wort, übertreibt eine Geste,
um sie deutlicher zu machen, — und schon ist
die unsagbar feine Linie der Kunst überschritten.
Man kann ruhig sagen, daß ein als sentimental
empfundenes Werk, welcher Art es auch sei,
mancherlei Falsches oder Übersteigertes ent-
hält: Schlacken von Kitsch.

In einer primitiven Lebensgemeinschaft kann
es keinen Kitsch geben. Der naive Mensch
steht so unmittelbar zum Leben, daß sich alles,
Ernst und Spaß, spontan vollzieht. Des Kindes
Spiel ist tiefste Wahrheit; seine formende Phan-
tasie gestaltet aus dem plattesten Tand wirkliche
und zauberische Träume. Aber wenn der Er-
wachsene mit falschen Naturlauten und süß-
lichen Diminutiven versucht sich in die Welt
des Kindes zu versetzen, wenn eine müde Äs-
thetik sich naiv und primitiv gebärdet, wenn
ein Rohling Gemütstöne anschlägt, wenn Aktu-
alitätssucht die inbrünstige Raserei mittelalter-
licher Mystik nachzuahmen sucht, so kommt
Kitsch heraus. Kitsch entsteht überall da, wo
sich Gefühl und Werk trennen. Auch ein Musik-
stück kann trotz der gewagtesten, atonalen Har-
monien ausgesprochener Kitsch sein, wie Milch-
suppe dadurch keine Fleischbrühe wird, daß man
sie herzhaft mit Pfeffer würzt. . s. schwabacher.
 
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