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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Niebelschütz, Ernst von: Klassik und Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0176

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Klassik und Klassizismus

KARL 11 A(; KN A l - K R—\V IE X

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schließlich beherrschenden Gesamtformenvor-
stellung ist doch so durchsichtig, daß an dem
Willen des Meisters, es den verehrten Alten
gleich zu tun, nicht zu zweifeln ist.

Die Kunstanschauung des Klassizismus
entspringt immer der Erkenntnis oder doch dem
Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Ihr innerer
Antrieb ist die Sehnsucht nach dem einmal ge-
schichtliche Wirklichkeit gewesenen griechischen
Ideal, ihr Wesen die bewußte Hingabe an dieses,
die bei schwächeren Naturen als Hildebrandt zur
unverhüllten Nachahmung wird. Was dem
Klassizismus fehlt, ist die Blutsverwandtschaft,
ist die aus ähnlichen Schicksalsbedingungen sich
ergebende innere Verbundenheit mit dem grie-
chischen Wesen, dessen höchste Forderungen

— der Harmonie, des gesetzmäßigen Schönen

— vielmehr auf intellektuellem Wege in den
eigenen Willen aufgenommen werden und hier
leicht zu abstrakten Formeln erstarren. Ein
Blick auf die besten Arbeiten Hildebrandts zeigt
hinlänglich, daß im Gebrauch eines echten Künst-
lers sich auch die Formel als lebenspendend er-
weisen kann. Aber die Gefahr der Galvani-
sierung bleibt doch in jedem Augenblicke akut.
Der bloße Hinweis auf das eben so hochachtbare
wie erkältend unpersönliche Lebenswerk der
Canova und Thorwaldsen macht die innere
Zusammenhanglosigkeit des Verhältnisses nur

zu deutlich, wie denn überall, wo ein großes und
ideales Wollen an eigenen Hilfskräften sich
erschöpft, ein mehr oder weniger äußerliches
„Idealisieren" das Schaffen aus der andrängen-
den Fülle der inwendigen Gesichte ersetzen muß.
Der glühende Wunsch der Gleichwerdung läßt
uns hier um so tiefer die chemische Ungleich-
artigkeit der sich suchenden Stoffe erkennen.
Nie steht der Klassizist der Antike als ein sich
ihr ebenbürtig Fühlender gegenüber. Er ist ihr
Bewunderer, ihr jugendlicher Freund und Um-
werber, ewiger Schüler eines verehrten Lehrers,
dessen Wort wie ein Evangelium gilt. Sein
Künstlerstolz ist nicht wahres Selbstvertrauen,
sondern Glauben an die Unfehlbarkeit des Mei-
sters. Kunst aus erster Hand bedarf keiner
Begründung. Sie erklärt sich selbst. Der Klas-
sizist dagegen sucht seine Unterwerfung unter
das große Vorbild wissenschaftlich zu recht-
fertigen, wie denn keine „Richtung" in der
Kunst so viele gelehrte Theorien aufgestellt, so
gründlich über sich selbst nachgedacht hat wie der
Klassizismus — von Vitruv angefangen über die
Serlio u. Winkelmann bis hinauf zu Hildebrandt.

Ist unser Beispiel und Gegenbeispiel richtig
gewählt, so müßte das Werk Hans v. Marees
Eigenschaften besitzen, die es uns als der klas-
sischen Kunst der Griechen verwandt und
zugehörig, nicht nur nahestehend erscheinen
 
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