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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Esswein, Hermann: Albert Weisgerber: Gedächtnis-Ausstellung bei Thannhauser anlässlich des 10. Todestages
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0245

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ALBERT WEISGERBER

GEMÄLDE »PARIS-URTEIL«

ALBERT WEISGERBER

GEDÄCHTNIS-AUSSTELLUNG BEI THANN HAUSER ANLÄSSLICH DES 10. TODESTAGES

Die Weisgerber-Gedächtnisaus-
stellung der Münchener Modernen
Galerie (Thannhauser) im Mai dieses Jahres
ward in erregender Drastik zum Maßstab der
aktuellen Lage, ließ uns erschüttert erkennen,
wohin es seit Weisgerbers jugendmutigem Auf-
bruch mit uns gekommen ist. Es ist nicht der
Krieg, die Verarmung, die Wirrnis der äußeren
Situation allein gewesen, die uns derart zurück-
geworfen. Wir waren schon müde und alt
geworden, als dieser Starke noch lebendig
blühte, wir lebten schon mitten in einer Welt
der Scheinwerte, der von Theorien und vagen
Sehnsüchten entbundenen Künstlichkeiten, als
uns diese vorläufig letzte vollwichtige Kunst
des deutschen Südens aus überreichen, über-
vollen Händen geboten ward. Erinnern wir uns
beschämt: Wir haben bei Lebzeiten des Meisters
gerade diese unbekümmerte Überfülle, diese
Systemlosigkeit des Schenkens nicht recht ge-
würdigt. Im allzu gemessenen, allzu berechneten
Lichte der Richtungen wollte uns manchmal als
Sprunghaftigkeit, als Flattersinn erscheinen,
was heute als echter Reichtum vor uns liegt. —

Weisgerber war der lebhafte und melancho-
lische Pfälzer, der kultiviert Rustikale, der in
Bildungsverfeinerung immer noch Wurzelechte,
Wurzelgesunde. Künstler aus Trieb, Vitalität,
Blut, Herz, kam er unmittelbar nach jener
Generation, die aus dem nahezu wissenschaft-
lich gehandhabten Entdeckungengebiet der
neuen Optik — Freilicht, Farbenzerlegung,
motorischer Impressionismus — das Wesentliche
ihrer Bildauffassung gewonnen hatte. Wohl
kannte er diese forscherische Frühzeit der
Moderne aus ihren Dokumenten, wohl verstand
er ihre Prinzipien, aber er übte sie nicht mehr
um ihrer selbst willen, sondern nur als Mittel im
Komplex einer schon wieder mehr historisch,
museal fundierten und zugleich blutmäßig spon-
taneren Kunstweise. Was bei Liebermann,
Slevogt, Uhde vom Beobachtungsrealismus her
zum neuen Bild führte, diente schon an unter-
geordneter Stelle dem neueren, dem farben-
intuitiven Bilde Weisgerbers, dessen Ausgangs-
punkte weit näher bei Leibi als beim späteren
Impressionismus liegen und dem die Schule
Stucks nicht romantisch-archaistisches Pathos,

XXIX. Januar 1926. 1
 
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