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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Ruppel, Karl Heinrich: Vom Erfassen der Plastik und Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0360

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Vom Erfassen der Plastik und Malerei

PROFESSOR IIEI.NK. STRAU.MEK

»KLEINE DIELE MIT KAMINECKE«

im Erfassen und Aufnehmen von Illusionen im-
mer mehr verfeinert, dem dinghaft Wirklichen
gegenüber immer mehr versagen. Man möchte
es fast zum Kriterium der künstlerischen Quali-
fikation eines Menschen machen, daß und wie
er auf Werke der Plastik reagiert. In der Tat
sind es die feinsten Sammler, die vorzüglichsten
Kenner, in deren Häuser man am meisten pla-
stische Werke (nicht nur solche, die durch ihren
antiquarischen Wert empfohlen, als vielmehr
solche, die eben durch ihre plastische Vollen-
dung ausgezeichnet sind) findet.

Man möchte meinen, eine alte, atavistische
Raumangst, ein Grauen vor der dritten Dimen-
sion, mache sich bei vielen geltend. Ein Bild ist
für die meisten eine abgegrenzte, isolierte Sache,
eine überschaubare, enträtselte Fläche; man
hat es einem Bilde gegenüber leicht, einen
„Standpunkt" einzunehmen, man ist sicher im
Gefühl einer direkten, geraden und redlichen
Beziehung. Man fühlt sich gefeit gegen die
magischen Kräfte des Raumes. Alle diese Men-
schen werden unsicher vor einer Plastik. Mit
dem räumlichen wird auch der geistige Stand-
punkt gefährdet. Eine Skulptur verführt zur

Bewegung; sie will umgangen sein. Sie ist mit
ihrer äußeren Umgrenzung nicht zu Ende, sie
strahlt weiter in den Raum aus, sie schafft um
sich eine dynamisch bewegte Atmosphäre. Wer
je ein Werk des Giovanni di Bologna gesehen
hat, wer Bescheid weiß in der deutschen Pla-
stik des achtzehnten Jahrhunderts, wer von
Rodin erschüttert wurde, der hat etwas von
jener atmosphärischen Dynamik, die außerhalb
der Skulptur wirkt und strömt, verspürt. Die
Malerei kann die Rätsel des Raumes ver-
schweigen, sie kann sie vergessen machen. Die
Plastik muß sie unerbittlich aussprechen.

Das sind keine Gefühls-, das sind Tatsachen.
Die Skulptur verlangt Aktivität vom Beschauer.
Man kann sich in völliger Kontemplation in ein
Bild „versenken". Man kann das nicht vor
einer Plastik; sie ist immer von einer geheimen
Geschäftigkeit, von einem bewegenden Leben
erfüllt — selbst wenn sie als Form und Umriß
völlig unbewegt ist—, dem der herzhaft lebende,
künstlerisch unbedingte Mensch allemal, der
nur bildlich, d. h. nur malerisch sehende, mit-
hin künstlerisch bedingte Mensch nur selten zu
begegnen imstande ist......

K. H. RUPPEL.

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