Malerei und Musik
FOUJITA—l'AKIS
»STJI.LEBEN' 1924
fast jeder hat sich schon mit einem „Gedicht"
versucht; Musik in den Ausdrucksformen der
Melodie und des Rhythmus (besonders soweit
dieser als Koinzidenz einer physischen Welle
mit einer psychischen in Betracht kommt) ist
für viele geradezu eine notwendige Begleit-
erscheinung des täglichen Lebens; und wieviele
Menschen kennen doch den Trost des selbst-
gesungenen Liedes! Wie wenige dagegen ver-
mögen in einem Bilde nach der Absicht seines
Schöpfers mehr zu sehen als bloße Naturnach-
ahmung? Wieviele gar vermögen eine Malerei
(schon infolge der Sprödigkeit des Materials)
selbst zu schaffen? Dadurch ist der Dilettantis-
mus großenteils ausgeschaltet und darum die
Zahl jener, die zu den bildenden Künsten ein
wirkliches Verhältnis finden, viel geringer, da-
für ihr Publikum aber auch ausgewählter, umso-
mehr als ja jene, die hier nur Naturnachahmung
gesucht haben, schon längst zurückbleiben
mußten, seit die Malerei diese als Ziel ver-
schmäht. Und so werden in diesen an Zahl ge-
ringeren Köpfen neue Gedanken immer eher
fruchtbaren Boden finden und das Gesetz der
Trägheit bei einer Bewegung, die mithin nicht
eine so breite Masse zu erfassen hat, umso-
weniger zur Geltung kommen. Die Pionierarbeit
auf den neuen Wegen freilich bleibt darum schwer
genug und bedeutet auch für die Schwester-
künste eine wichtige Vorarbeit.
Allen Künsten gemeinsam ist die Verände-
rung in der Behandlung des Erlebnisses, das
ihren Schöpfungen zu Grunde liegt: nicht das
allein ist Gegenstand des Werkes, was, in hoher
Stunde empfangen, alleDämme überflutend, über
die Seele hereinbrach, sodaß sich der Künstler
in einem Werke Luft schaffen mußte. Bildet
dieses auch heutigen Tages noch den Kern, so
muß es doch vorerst durch die strenge Schule
des kritischen Geistes gehen, ehe es in die
künstlerische Erscheinung tritt. Das sachliche
Problem sehen wir jetzt so oft zurücktreten
hinter dem formalen, dem Darstellerischen,
das eine und dieselbe Impression immer wieder
neu formt (man denke nur an Picassos „Laute").
Was bedeutet das anderes, als die ungeahnte
Variationstechnik oder (das Nebeneinander in
Gleichzeitigkeit zusammengefaßt) die Kontra-
punktik der neuesten Musikschulen, denen der
melodische Einfall nichts weiter bedeutet als
form- und charakterlose Materie, die ihre auf-
bauende, gestaltbildende Kraft erst erweisen
FOUJITA—l'AKIS
»STJI.LEBEN' 1924
fast jeder hat sich schon mit einem „Gedicht"
versucht; Musik in den Ausdrucksformen der
Melodie und des Rhythmus (besonders soweit
dieser als Koinzidenz einer physischen Welle
mit einer psychischen in Betracht kommt) ist
für viele geradezu eine notwendige Begleit-
erscheinung des täglichen Lebens; und wieviele
Menschen kennen doch den Trost des selbst-
gesungenen Liedes! Wie wenige dagegen ver-
mögen in einem Bilde nach der Absicht seines
Schöpfers mehr zu sehen als bloße Naturnach-
ahmung? Wieviele gar vermögen eine Malerei
(schon infolge der Sprödigkeit des Materials)
selbst zu schaffen? Dadurch ist der Dilettantis-
mus großenteils ausgeschaltet und darum die
Zahl jener, die zu den bildenden Künsten ein
wirkliches Verhältnis finden, viel geringer, da-
für ihr Publikum aber auch ausgewählter, umso-
mehr als ja jene, die hier nur Naturnachahmung
gesucht haben, schon längst zurückbleiben
mußten, seit die Malerei diese als Ziel ver-
schmäht. Und so werden in diesen an Zahl ge-
ringeren Köpfen neue Gedanken immer eher
fruchtbaren Boden finden und das Gesetz der
Trägheit bei einer Bewegung, die mithin nicht
eine so breite Masse zu erfassen hat, umso-
weniger zur Geltung kommen. Die Pionierarbeit
auf den neuen Wegen freilich bleibt darum schwer
genug und bedeutet auch für die Schwester-
künste eine wichtige Vorarbeit.
Allen Künsten gemeinsam ist die Verände-
rung in der Behandlung des Erlebnisses, das
ihren Schöpfungen zu Grunde liegt: nicht das
allein ist Gegenstand des Werkes, was, in hoher
Stunde empfangen, alleDämme überflutend, über
die Seele hereinbrach, sodaß sich der Künstler
in einem Werke Luft schaffen mußte. Bildet
dieses auch heutigen Tages noch den Kern, so
muß es doch vorerst durch die strenge Schule
des kritischen Geistes gehen, ehe es in die
künstlerische Erscheinung tritt. Das sachliche
Problem sehen wir jetzt so oft zurücktreten
hinter dem formalen, dem Darstellerischen,
das eine und dieselbe Impression immer wieder
neu formt (man denke nur an Picassos „Laute").
Was bedeutet das anderes, als die ungeahnte
Variationstechnik oder (das Nebeneinander in
Gleichzeitigkeit zusammengefaßt) die Kontra-
punktik der neuesten Musikschulen, denen der
melodische Einfall nichts weiter bedeutet als
form- und charakterlose Materie, die ihre auf-
bauende, gestaltbildende Kraft erst erweisen