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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 57.1925-1926

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Cremers, Paul Joseph: Emil Fahrenkamps schöpferische Raumkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9180#0417

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E. FAHRENKAMP—DUSSELDORF

»NOTENTRUHE IM MUSIK/.IMMER«

EMIL FAHRENKAMPS SCHÖPFERISCHE RAUMKUNST

VON DR. PAUT. JOSEPH CREMERS

So groß war die Zerrissenheit im organischen
Denken vergangenen Jahrhunderts, so auf-
dringlich die Siegesherrschaft der Individuali-
täten und der Disziplinen, daß man es als Ver-
messenheit angesehen hätte, wenn ein großer
Baumeister die orchestrale Kunst der Außen-
architektur mit der subtilen Kammermusik der
Innenraumgestaltung ganz nach Belieben aus-
getauscht hätte. Selbst die Gegenwart trägt
noch insofern an dem überkommenen Vorurteil,
als bekannte Innenarchitekten, aus der ande-
ren Fakultät hervorgegangen, vollkommen ihren
Ruf als Außenarchitekten (auch wissentlich)
verloren haben, während der erstere geradezu
programmatische Bedeutung erlangte.

Ein neues Daseinsgefühl jedoch hat diese
Dinge in ein Gegenteil verkehrt. Das soziolo-
gische Chaos vorwiegend politischer Jahrzehnte,
das ekstatische Furioso einer Kunstbewegung,
die formal aus Rand und Band, die inhaltlich
bis an die Grenzen des Fühlens und Denkens
ging, haben diese ungeheure Rückwirkung her-
vorgerufen. Einfach als notwendigste, natür-
lichste Reaktion hervorgerufen! Vor zehn Jahren
sah es in der deutschen Kunst noch so aus, als
wenn der seelische Expansionsschrei das Pri-
märe und die Form die quantite negligeable sei.
Und genau umgekehrt ist es gekommen. Or-
ganische Universalität ist höchste Losung
geworden. Die Form kann heute nicht edel,
nicht sachlich, nicht würdig genug sein, um
als Trägerin des Seelischen zu dienen. Und

wir sind damit reumütig in die Stilgrammatik
ganz großer Kunstepochen zurückgekehrt.

Im Morgenrot dieser neuen „fröhlicheren
Wissenschaft" um das Wesen der Kunst, stehen
die Werke Emil Fahrenkamps an hervor-
ragendster Stelle. Bei keinem der jüngeren
Meister deutscher Architektur fiel auch die
eigene organisch entwickelte Einstellung mit der
stilistischen Forderung der Zeit so pünktlich
und so harmonisch zusammen wie hier. Man
nennt ihn heute schon eine der genialsten und
liebenswürdigsten Erfüllungen der „neuen Sach-
lichkeit" in der Architektur. Obschon er ganz
gewiß keine Schuld an der Schöpfung dieses
neuen Schlagwortes hat. Im Gegenteil: da sein
Werk einer jetzt fünfzehnjährigen Architekten-
arbeit aus absolut individuell geprägter Persön-
lichkeit heraus geschaffen wurde und heute auf
eine künstlerische Situation stieß, die nach den
Idealen ruft, die hier in jahrzehntelanger Durch-
klärung bereits ihrer edelsten Formulierung
entgegengebracht worden sind.

Monumentalität, deren rhythmische Harmo-
nie und gesetzhafte Einfachheit die „überzeitliche
Sachlichkeit" klassischer Ruhe atmet, — das ist
das Wesen Fahrenkampscher Baukunst. Ihr
Ursprung ist die große Hingabe des Künstlers
an die Dinge. Und das sind sowohl die Land-
schaft, die Stadt, die Straße in die er hinein-
baut, als auch Stein, Eisen, Holz, mit denen er
baut. Er erfüllt den Charakter seiner dinglichen
und metaphysischen Materialien, und indem er

XXIX. Min 1926. 6
 
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