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Großherzoglich Badische privilegirte Heidelberger Tageblätter für Verkündigung, Politik und Unterhaltung (35) — 1841

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No. 201 - No. 210 (30. August - 9. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42548#0827

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Üeidelberger

Tageblätter

für Verkündigung, Politik und Unterhaltung. j



No. 203.

Mittwoch, den 1. September

1841.







t re ts



Ueber die jetzige Einrichtung der evang. prot. Volks-
schule zu Heidelberg und Vorschläge zur Verbeſſe-
rung derselben.

Die Theilnahme des Publikums wurde in leßtter Zeit
lebhaft für die Verbeſſerung der hiesigen evang. Volksschule in
Anspruch genommen. Ohne Kenntniß der vorhandenen Gesetze
und der beſtehenden Verhältnisse kann sich aber nicht leicht Je-
mand ein richtiges Urtheil über die Sache bilden. Ich glaube
daher nicht Wenigen der verehrlichen Mitbürger einen Gefallen

zu erweiſen, wenn ich ein in dieser Angelegenheit abgegebenes f

Gutachten veröffentliche.

Gutachten über die Einrichtung T. hiesigen
evangeliſch-proteſtantiſchen Volksschule.

Die seit Oſtern in der hiesigen evang. prot. Volksschule
eingeführte Einrichtung, wornach die Kinder auch in den drei
obern Klaſſen nicht mehr zuſammen 5 Stunden, sondern in
getrennten Abtheilungen täglich nur drei Stunden, und zwac
die Einen Vormittags, die Andern Nachmittags, Unterricht
erhalten, hält der Unterzeichnete für ungenügend.

Diese Einrichtung findet zwar in keinem organiſchen Ge-
setze, wohl aber in einer Versügung des großh. Miniſteriums
des Innern vom 31. Okt. 1837 ihre Begründung. Dort heißt cs :

§. 3. Sind sechs oder mehr Lehrer vorhanden , so wird die
Schule durchaus in eine Knabenſchule und in eine Mädchen-
ſchule getheilt und für jede derselben die Zahl der Lehrer be-
sonders beſtimmt.

§. 4. Werden hiebei an der Mädchenſchule für sich allein
drei Lehrer angeſtellt, ſo wird die Schule in sechs Klaſsen ab-
getheilt, und jeder Lehrer ertheilt in zwei Klaſsſen, u on ein-
ander getrennt, den Unterricht.

§. 5. Sind an einer Knabenſchule vier Lehrer angeſtellt, so
wird die Schule in acht Klassen abgetheilt, und jeder Lehrer
unterrichtet zwei derſelven getrennt voneinander.

§. 6. Hat eine Mädchenſchule vier Lehrer, so werden sieben
Klassen gebildet.

Die in die erſte Klasse eintretenden Anfangsſchülerinnen
werden jeweils in zwei gleiche Hälften abgetheilt, und beide
Hälften als Parallelklaſſen abgesondert von einander,
durch einen Lehrer unterrichtet.

Nach ihrem Austritte aus der erſten Klaſſe werden die beiden
Hälften der Schülerinnen vereinigt, und von den sechs weitern
Klaſſen unterrichtet jeder der andern drei Lehrer zwei Klassen,
ebenfalls uon einander getrennt.

H. 7. Sind an einer Knabenschule, oder an einer Mädchen-
ſchule fünf Lehrer angeſtellt, so werden fünf Klaſſen, und zwar
von unten bis oben Parallelklaſsen gebildet.

Ein Lehrer unterrichtet die in zwei Parallelklaſsen abgetheilten

Schüler der erſten Klaſſe, von zwei weitern Lehrern jeder eine



Abtheilung der zweiten und eine solche der dritten Klasse, so-
dann von den zwei übrigen Lehrern jeder eine Abtheilung der
vierten, und eine solche der fünsten Klasse.

Bei sechs Lehrern werden sechs Klaſſen (jede in zwei solche
Parallelklaſſen abgetheilt) gebildet, und auf jede (in ſechs
Klaſsen eingetheilte) Hälfte der Schüler trifft es drei Lehrer,
deren jeder zwei dieser Klaſſen, getrennt von einander,

„unterrichtet.

§. 8. Bei der Eintheilung der Schüler in die Klaſſen iſt
darauf zu sehen, daß jede von einem Lehrer abgesondert
zu unterrichtende Klaſse beiläufig gleich viele Schüler zählt.

§. 9. Jede Klasse erhält in den oben aufgeführten Fällen
(§. 1 — 7) wo ein Lehrer immer zwei Klaſſen ab g eso ndert
unterrichtet, täglich 83 Stunden ~ an den Ferientagen jedoch
nur Vormittags 2, oder im Winter 1'/, Stunden Unterricht.

Wenn übrigens die beiden, von einem Lehrer unterrich-
teten Klassen zuſammen nicht über 70 Schüler zählen, ſo er-
hält jede Klaſſe nur Vormittags abgesonderten Unterricht
(und zwar im Sommer 2 Stunden, und im Winter 1 !/3
Stunden , der Nachmittagsunterricht aber wird beiden Klaſſen
gemeinſchaftlich ertheilt.

Aus dieser Verordnung erhellt klar, daß es uns niemals !

geſattet wäre, auch wenn wir 12 Lehrer hier anſtellten, einen
fünsNündigen Unterricht einzuführen. Unter allen Bedinguns-
gen soll der Lehrer stets zwei Klassen abgesondert von einander
unterrichten, und höchſtens darf er ihnen unter beſtimmter Be-
dingung, am Nachmittage gemeinſchaftlichen Unterricht ertheilen.

Es liegt ihr unſtreitig die Ansicht zu Grund, als ob die
Kraft der Schulerziehung nur im unmittelbaren Unterrichts .
liege. Sie ſcheint unbeachtet gelassen zu haben, wie ein län-
geres Verbleiben um den Lehrer, auch wo er sie nicht unmit-
telbar unterrichtet, für die sittliche und intellektuelle Erziehung
der Schüler von großem Einfluſse ſeyn kannz wie die Schüler
sich eben dadurch erſt recht an seine väterliche Leitung gewöh-
nen und, da ja vorausgesetzt werden darf, daß er sie zweck-
mäßig zu beschäftigen verſtehe, dem Müßiggang entzogen und
mehr durchgeubt werden. Wo der Lehrer zwei Klassen oder
zwei Abtheilungen ab gesondert von einander, die eine
am Vorniittage, die „andere am Nachmittage zu unterrichten
hat, da kann zumal in Städten weder die moralische noch dienÖ
intellektuelle Erziehung gedeihen. Wie nachtheilig iſt schon das
halbtägige Müßiglaufen der Schüler! Wie ſehr mehren sich
dadurch die Gelegenheiten zu Unarten und ſittenloſem Getreibe,

und damit natürlich auch die Sorgen der Aeltern um ihre

Kinder! Außerdem iſt nicht anzunehmen, daß Lehrer und
Schüler mit gleicher Kraft und gleichem Erfolge am Vormittage wie
am Nachmittage zu lehren und zu lernen im Stande ſeyen, und daß
es nur auf die gleiche Stundenzahl, nicht aber auch auf die Tageszeit
ankomme. Wie verſchieden iſt auch bei dem wackerſten Lehrer die gei-
ſtige Regsamkeit am Vormittage und Nachmittage, wie verſchieden
 
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