DOI Heft:
No. 75
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.34821#0680
1200 Bohtz, Geschichte der neuern deutschen Poesie u. s. w
doxie, 3ie poetische Unwahrheit, das ewige Eineriei,
den lyrischen Schwung vorgeworfen : die Hauptwirkung
aber, die namentlich der historische Beurtheiler hervor-
heben mufste, hat man nicht gesehen. Es war die, dais
der Messias eine gewisse grofse Periode, jene Zeit, weiche
die Arndt, Andrea, Spener, Mosheim und dieRirchen-
iiederdichter darsteiien, voiiendete, wie Werther und
Faust später eine andere, und dais durch dies Gedicht
der Uebergang von den reiigiösen Tendenzen zu ästheti-
schen veraniafst war, was die Rlopstockianer selbst nachher
mitUnmuth betrachteten, so natürlich es auch war, dais,
da einmai die Religion zu einem Gegenstand des schönen
Denkens geworden war, Wieiand von seinen früheren
christlichen Aufsätzen aus zu seinen späteren unchristii-
chen kommen mufste. Seitdem der Messias erschien,
gewann nicht aiiein auf der Ranzei die geistiiche Bered-
samkeit Herz und Gefühl, statt des früheren Dogma, auch
in der Dichtkunst ward nicht mehr wie vorher der Regel
und dem Verstände Aiies eingeräumt, sondern der Em-
pfindung. Und obgleich die feurig-andächtige Muse, die
überall mehr auf die Empfindung ais auf die Phantasie
wirkt, gerade das ist, was dem Messias als Gedicht scha-
det, indem man eben dadurch, wie es die Literaturbriefe
ausdrücken, vor lauter Empfindung gar nichs empßndet
(ein kaltes Feuer nennen sie die ähnlichen Cramer'schen
Oden sehr treffend), somufs man gleichwohl gestehen,
dafs diese dictirende Emphndung doch wieder des Dichters
Hauptverdienst ist, indem von der Kälte und Leere der
herkömmlichen Dichtung um jeden Preis auf Wärme
und Gefühl, von dem Materiellen auf das Psychische über-
geführt werden mufste, was nichtandersgeschehen konnte,
als indem man von Lehrgedicht, Erzählung, Beschrei-
bung und Naturschilderung auf das Moralische des Men-
schen überleitete, indem man den inneren Menschen zum
Gegenstand der Dichtung machte, so dafs also Klopstock
eine Erlösung des Menschen in mehr als Einem Sinne
vollbracht hat.
(*Dte Fo?-tse%ZMwg'
doxie, 3ie poetische Unwahrheit, das ewige Eineriei,
den lyrischen Schwung vorgeworfen : die Hauptwirkung
aber, die namentlich der historische Beurtheiler hervor-
heben mufste, hat man nicht gesehen. Es war die, dais
der Messias eine gewisse grofse Periode, jene Zeit, weiche
die Arndt, Andrea, Spener, Mosheim und dieRirchen-
iiederdichter darsteiien, voiiendete, wie Werther und
Faust später eine andere, und dais durch dies Gedicht
der Uebergang von den reiigiösen Tendenzen zu ästheti-
schen veraniafst war, was die Rlopstockianer selbst nachher
mitUnmuth betrachteten, so natürlich es auch war, dais,
da einmai die Religion zu einem Gegenstand des schönen
Denkens geworden war, Wieiand von seinen früheren
christlichen Aufsätzen aus zu seinen späteren unchristii-
chen kommen mufste. Seitdem der Messias erschien,
gewann nicht aiiein auf der Ranzei die geistiiche Bered-
samkeit Herz und Gefühl, statt des früheren Dogma, auch
in der Dichtkunst ward nicht mehr wie vorher der Regel
und dem Verstände Aiies eingeräumt, sondern der Em-
pfindung. Und obgleich die feurig-andächtige Muse, die
überall mehr auf die Empfindung ais auf die Phantasie
wirkt, gerade das ist, was dem Messias als Gedicht scha-
det, indem man eben dadurch, wie es die Literaturbriefe
ausdrücken, vor lauter Empfindung gar nichs empßndet
(ein kaltes Feuer nennen sie die ähnlichen Cramer'schen
Oden sehr treffend), somufs man gleichwohl gestehen,
dafs diese dictirende Emphndung doch wieder des Dichters
Hauptverdienst ist, indem von der Kälte und Leere der
herkömmlichen Dichtung um jeden Preis auf Wärme
und Gefühl, von dem Materiellen auf das Psychische über-
geführt werden mufste, was nichtandersgeschehen konnte,
als indem man von Lehrgedicht, Erzählung, Beschrei-
bung und Naturschilderung auf das Moralische des Men-
schen überleitete, indem man den inneren Menschen zum
Gegenstand der Dichtung machte, so dafs also Klopstock
eine Erlösung des Menschen in mehr als Einem Sinne
vollbracht hat.
(*Dte Fo?-tse%ZMwg'