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N°. 69. HEIDELBERGER 1835.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Wilhelm und II o sin a. Ein ländliches Gedicht von M. Meyr. Mün-
chen, bei Georg Franz. 1835. 278 8.
Dieses Gedicht, das als Gattung auf heine Originalität An-
spruch macht, sondern zu den Genrebildern gehört, an deren
Spitze Vossens Luise und Götbe’s Hermann und Dorothea stehen,
zeichnet sich doch durch eine liebenswürdige Individualität aus.
Göthe's Idyll hat sich das hleinstädtische Leben und Weben zum
Objehte gewählt; Vofs führt die Städter in das Dorf, und zeigt
uns auch in diesem nur das Pfarrhaus, d. h. eine städtische Co-
lonie. An Vofs schlofs sich Neufter mit seinem »Tag auf dem
Lande“ und seiner „Herbstfeier,“ an Göthe und Vofs zugleich
J. M. Usteri mit seinen städtischen und halbstädtischen Novellen
in schweizerischer Mundart an ; noch kürzlich hat uns Karl Egon
Ebert katholisches Volksthum und das Klosterleben in’s Land-
leben verwoben glücklich gezeichnet in seinem »Kloster.« Herr
M. Meyr unternimmt es, die Sitten eines deutschen Dorfes, einer
wohlhabenden Bauernfamilie ohne allen fremden Zusatz zu schil-
dern, und beschränkt sich dabei so sehr auf die Wirklichkeit,
als nur irgend Theocrit in seinen Idyllen es gethan hat. Dafs
dabei Rohheit und Nacktheit entfernt bleibt, ist ganz natürlich,
denn der Darsteller christlicher Sitte und modernen Landlebens
hat es mit Verhältnissen zu thun, die in geselliger und sittlicher
Beziehung ganz anders policirt und humanisirt sind, als das Hir-
tenleben in Sicilien zu Theocrit’s Zeit. Die Aehnlichkeit unsers
Verfs. mit dem griechischen Dichter besteht nur darin, dafs auch
er ländliche Natur und ländliche Menschen in ihrer Wahrheit und
Wesenheit darzustellen sich bemüht. Es findet sich auch bei
ihm kein Prunk, keine Uebertreibung. Der Himmel ist nicht
blauer, der Wald nicht grüner, als in der Natur. Die poetische
Behandlung beurkundet sich bei beiden nur in soweit, als sie in
so reiner Bläue, in so saftigem Grün geschildert sind, wie sie
die Wirklichkeit nur in ihren besten Momenten bietet. Denn
der Idyllendichter belauscht die Natur im Augenblick ihres vollen
Daseyns. In diesem natürlichen Glanze erscheint die ganze Aus-
senwelt in der Odyssee, in den Idyllen Theocrit’s, in den Eclogen
Virgil’s. Erst spätere Dichter haben über dem Bestreben zu
XXVIII. Jahrg. 11. Heft. 69
 
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