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N°. 76. HEIDELBERGER 1835.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

E. Ferrand, Novellen.
(Be s chlufs.)
Walther lobt die gehorsame Tochter, und diese nimmt
schmerzlichen Abschied von dem bisherigen Geliebten. Eine
neue Scene eröffnet sich. Am Ufer eines Stromes sitzt ein zu-
friedener Mann von mittleien Jahren, seine Bliche gleiten durch
die einsame Gegend, und scheinen auf der Häuserreihe eines
kleinen Dorfes zu weilen. Es ist an einem Sonntagsvormittage;
Glockentöne klingen verhallend durch die helle, warme Luft aus
der nahen Stadt herüber. Da kommt ein Andrer, ein hoher Mann,
langsam am Ufer daher. Seine Augen sind auf den blauen Was-
serspiegel gerichtet. Er will sich ertränken, da fafst ihn der An-
dere kräftig am Arm, und zwei Jugendfreunde sind es, die sich
erkennen. »Es mag jetzt wohl über zwanzig Jahre seyn,« so
erzählt Wilibald seinem Freunde Robert, »da befand ich mich
in einer ähnlichen Lage. Ich liebte ein Mädchen. Mein theuer-
ster Freund, der mir in allen Neigungen sehr ähnlich war, gab
hinter meinem Rücken von dieser Sympathie unsrer Seelen meiner
Geliebten Beweise, von denen ich vermuthen durfte, dafs sie
bald für sich sprechen, oder vielmehr für’s Erste nur lallen wür-
den. Diese so gewöhnliche Begebenheit empörte mich auf’s
Höchste — ich fluchte der holden Aurelie, und dem guten
Robert. . . . Zu gleicher Zeit traf mich wo möglich ein noch
härterer Schlag. Ich halte nämlich vor Kurzem mehrere Bände
Gedichte, Tragödien, Erzählungen in die Welt geschickt, und
fühlte schon einen unsichtbaren Lorbeerkranz mein stolzes Dich-
terhaupt umsäuseln, als mir eine Recension dieser meiner sämmt-
lichen Werke zu Gesicht kam, in der mir sonnenklar bewiesen
yvurde, dafs ich nicht mehr und nicht minder, als ein ziemlich
unbedeutender Nachahmer unsterblicher Geister sey. Ich war
überzeugt, und ging geraden Weges aus dem Kaffeehause, wo
ich jene Kritik gelesen hätte, hinaus vor’s Thor, um dort im
kühlen Strom den bittern Schmerz doppelter Täuschung zu ver-
senken. Ich stand am Strom . . . Ich raffte mich zusammen
und rannte rasch mit geschlossenen Augen in den Strom. Das
XXVIII. Jalu-g. 12. Heft. 76
 
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