Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
704

Gaudy, Korallen.

leiblicher und geistiger Zustand des Volkes geschildert. Die mei-
sten Polengedichte unserer Zeit sind mehr aus dem Eindrücke
entstanden, den die letzten tragischen Schicksale dieses edeln und
unglücklichen Volkes auf das Dichtergemüth machen mufsten,
worein sich natürlich die Leidenschaft der Gegenwart mischen
mufste, die oft der dichtenden Phantasie eine willkührliche, nicht
eben polnisch - nationale Färbung ertheilt hat. Der Verf. des vor-
liegenden Gedichtes wählt dagegen, offenbar angeregt durch den
„Untergang Polens“ von Raumer, den Hauptstoffseiner Erzäh-
lung aus der früheren Tragödie der polnischen Geschichte (1791
bis 1794*) und erleichtert sich dadurch bedeutend die dichterische
Beherrschung seines Stoffes. Dagegen weifs er durch den oben
gerühmten Vortheil einer genauen Kenntnifs des Landes und Volkes
eine örtliche und nationeile Wahrheit in seinen Schilderungen aus-
zuprägen, durch welche die Vergangenheit selbst zur lebendigen
Gegenwart wird. Indessen ist der Rahmen des Gedichts aus der
neuesten Zeit selbst entlehnt. In einer sternenhellen Winternacht
-gleitet der Schlitten eines jungen Franzosen, den Liebesunglück
von der Loirebespülten Heimath in die Ferne getrieben hat, unter
den polnischen Nationalliedchen seines Fuhrmanns durch die
schneebedeckten Sarmatenwäider. Doch plötzlich stockt der Schlit-
ten im eiligen Fluge —
— der Pferde kräft’ger Zug
Prallt scheu zurück, steigt rasend auf,
Und drängt sich zitternd und stöhnend zu Häuf.
Vergeblich tönt des Führers Ruf,
Vergeblich schwirrt der Peitsche Schlag.
Nicht Zügel, nicht strafende Geifsel vermag
Der wildentsetzten Rosse Huf
Zu flücht’gein Eilen anzutreiben.
Die Nüstern schnauben, die Mähnen sträuben
Sich in die Höh’; mit riesiger Kraft
Strebt das Gespann, der Zügel Haft
Sich wild empörend zu entziehn. —
„Herr,” ruft Franciszeck, ,,sielist du ihn
Versteckt im Graben ? Aus dem Dunkeln
Blitzt wild der Augen feurig Funkeln. —”
„„Wen, ihn,”” — „den Wolf. ’S sind zwei, ’s sind drei,
Jesus Maria, steh’ uns bei !”
Der Fremde spannt den Doppellauf;
Ein kurzer Blitz, ein krachender Knall —
Weit rollt der donnernde Wiederhall —
Und zögernd weicht der gier’ge Häuf
Um wenig Schritte mit lautem Geheul. (S. 58.)
(Der Beschlufs folgt.)
 
Annotationen