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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
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ten" und bin ohnedies, obwohl ans tiefstem Herzens-
grund der katholischen Ltirche zugethan, als halber
Ketzer verschrieen. Ein amerikanischer Zournalist hat
mir kürzlich sogar nachgesagt, „der Hanojakob blase
in das Horn des dicken Martin Luther."

Wie die religiös-politischen Streitigkeiten in Oester-
reich endigen werden, das weitz kein Sterblicher; aber
sicher isl der Kamps der Ziationalitäten und die Selbst-
sucht seiner einzelnen Völker dem alten Kaiserstaat, dem
es außerdem an großen Staatsmännern fehlt, gesähr-
tich. Jch wünsche von Herzen, daß die Habsburger
Monarchie der europäischen Welt erhalten bleibe. Sie
hat es auch um uns Reichsdeutsche wohl verdient. Sie
hat mit all ihren Nationen und Völkern viel, vie!l
Blut vergossen für das alte, deutsche Reich, um es zu
schützen gegen die Franzosen und die Türken und zwar
zu einer Zeit, da Preußen nichts weniger als deutsch
gesinnt war.

Sollte aber Oesterreich doch zersallen, so bin ich
der Ansicht, daß das neue deutsche Reich Preußischer
Formation kein deutsches Dorf in andere Hmrde kom-
men lassen dars, auch die Dörfer in Böhmen nicht. Für
den Fall bin ich also auch ein „Alldeutscher" und
würde als solcher nicht bloß den Böhmen, sondern ge-
gebenenfalls auch den deutschen Schweizern und den
Holländern den preußischen Adler als „Raübvogel"
auf den Hals schicken.

Massenauswanderung gakizischer Aeutscher.

Polnische Queüen melden, daß die deutschen Kolonisten
aus Westgalizien zu Tausenden nach Canada und den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika wandern. Jhre Be-
fitzungeu, die sich in gutem Zustande befinden, werden
namentlich von Ruthenen gern gekauft. Weshalb die Leute
so plötzlich auswandern, wird natürlich von den polnischen
Blättern nicht verraten. Die deutschen Kolonisten sind von
der polnischen Landesverwaltung, obwohl auch in Galizien
ihnen nach dem österreichischen Staatsrecht die unbeschränkte
Entfaltung ihrer Nationalität gewährleistet ist, in unerträg-
licher Weise drangsaliert worden. Biele von ihnen sind
bereits polonisiert worden. Wer sich dagegen sträubt,
wandert jetzt aus. Es ist notwendig, hier wieder einmal
zu zeigen, wie bei den Polen Theorie und Praxis sich
widersprechen. Darin stimmen die preußischen Polen mit
der galizischen Schlachta eben überein, daß die für sich
unter allen Umständen das Recht beanspruchen, aä Ilbitum
zu polonisieren. Ueber Recht und Gesetz setzen sie sich
skrupellos hinweg. Wenn aber in dem deutschen National-
staate Preußen die Staatsgewalt die Polonisierungsbe-
strebungen unterbinden will — alle deutsche Ostmarken-
politik will ja nur dem Deutschtum die Möglichkeit bieten,
sich des polnischen Ansturms zu erwehren —, so schreien
die Polen und ihie ultramontanen Schildknappen über
„preußische Barbarei".

Deutsches Neich.

Batzern.

— Aus Rom wird gemeldet, daß der als Nun-
tius in München in Aussicht genommene bisherige
päpstliche Jnternuntius im Haag, Monsignvr T a u-
ua s s i gestorben ist.

München, 24. Mai. Graf Paul Hoensbroech
wird Ende dieses Monats trotz der üblen Erfahrung, die
cr gemacht hat, hier einen Vortrag über den Toleranz-
antrag des Zentrums halten. An den Vortrag wird sich
eine freie Diskussion schließen, bei der auch den Gegnern
des Rcdners volle Redefreiheit gewährt wird. Die Ver-
sammlung wird von einem zu diesem Zwecke gebildeten
Komitee einberufen und geleitet; demselben gehören ange-
sehene Männer der verschiedensten Berufsarten, verschiedenen
politischen und konfessionellen Glaubensbekenntnisses an.
Die Bildung dieses Komitees bei der wiederholten Vcr-
anstaltung des erwähnten Vortrags erschien deßhalb ge-
boten, um dem Vorwurfe, als handle es stch um eine ein-
seitige.Parteiveranstaltung, die Spitze abzubrechen.

Reuß ä. L.

— Nach einer Meldung der „Braunsch. lst. öl." wird
der bisherige Präsident der Landesregierung des
FürstentumS R eu ß ä. L„ Kammerherr A. v. M e-
ding, am 1. Oktober dieses Jahres in den Ruhe-

fo — wie soll ich sagen? — so puritcmisch erzogen — i>or-
sintflutliche Ansichten, Herr von Wertyer — Ansichten, mit
denen man heutzutage gar nicht mehr oder nur miserabel
Vurch die Welt kommt. Aber das ist ihm in dem elenden
Nest so beigebracht worden. Der Graumann, ein eingefleischter
Fanatiker, hat ihm diese unvernünftige Richtung gegeben;
daran läht sich nun nichts mehr ändern. Für wen habe ich
mich nun geplagt, für wen beständig auf Erwerb gesonnekp
gespart und zusammengescharrt? Für meinen Walter? Nein!
Der genießt nichts davon. Er macht höchstens hochherzige
Dummhelten mit meinem mühsam erworbenen Gelde. Ja.
ja, wie mancher Vater gerät aus Rand und Band, weil sein
Sohn in übcrgroßer Lebensfreudigkeit mehr verbraucht, als
er eigentllch soll. Und ich — ich? Mit beiden Händen
würde ich's dem Jungen hinwerfen — aber du lieber
Himmel — keinen Bissen Brot nähme er von mir an, wenn
er wühte, dah ich Geld verleihe und ettvas höhere Zinsen dafür
verlange, als die' Bank. Die riskiert aber auch nichts, die
sichert sich. Ich dagegen habe schon so und so viel eingebüht.
Es ist ein Geschäft, wie jedes andere, nur dah es wcniger
Sicherheit bietet. ?lber sehen Sie, so urteilt die Verbissenheit
in lauter Mcnschenliebe, so urteilt mein Sohn! Können Sie das
begreifen?"

„Die reine Jronie des Schicksals!" erwiderte Werther
lachend.

„Mir ist wahrhaft nicht spahhaft zu Mute, Herr Baron",
unterbrach Breuer seine Heiterkeit. „Jhnen mag das schon
lächerlich vorkommen — aber ich habe nun einmal meinen
Walter lieb. Wäre er nicht, so wühte ich längst nicht mehr,
dah es da drinncn —" er schlug sich mit geballter Hand vor
die Brust, „etwas giebt, das man Herz nennt. Jch habe ja
auch zeitlebens bei anderen vergebens darnach gesucht und wa-
rum soll einer mehr geben, als er jemals selbst empfangen
hat?"

„Jch glaube, vor Jhnen könnte die ganze Menschheit im
Staube liegen und um ein Stück Brot winselri, ohne dah
Jhre milde Hand sich aufthun würde."

st a n d treten. Das wird wohl nicht sehr verwunder-
lich sein, denn Herr von Meding ist, so viel bekaunt,
ein ausgesprochener Parteigänger der welfischen Partei.
Für. einen solchen aber ist nnter der neuen Regent-
schaft des Fürstentums wohl kanm mehr der rechte
Platz.

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drtzitnng, /umol in unssrsn Zntsituiörtsn unä iarnk-
k-rlrigön Lrsissn, srkoirrunzsgsmüss Vn/tzigtzn!jkäsr

Vrt Luolr

svirküekeri LrkntK

/usioliert.


GGGGGGGGGGGG


Ausland.

Rußland.

Petersburg, 24. Mai. Die Tage der russisch-
französischen Zusammenkunft haben mit einem grellen
Mißton geendet. Zahlreiche betrunkene f r a n-
zösische Matxosen durchzogen spät abends die
Straßen der Stadt, begleitet von einer nach Hunderten
zählenden Menge. Vor dem Rathause wurde demo n-
striert. Mit dem Rufen Vive la Repübliqne" und
dem Gesang der Marseillaise mischten sich Drohungen
gegen die Polizei nnd die Regierrmg. Der Gendar-
merie gelang es mit Not, gegen 2 Uhr früh die -Ord-
nung wiederherzustellen. Bei dcr Fahrt des Präsiden-
ten Loübet durch die Straßen der Lüadt begleitete ihn
auch Hohngelächter.

Frankreich.

Paris, 24. Mai. Die Firma Krupp in Essen
hat gemeinsam mit der großen Geschützgießerei Creusot
eine bcdeutende Lieferung elektrischer Jnstallationen für
dic fränzösische Marine übernommen. Man erblickt
darin einen Beweis der gnten Beziehungen zwischen
Frankreich und Deutschland.

Amerika.

Washington, 24. Mai. Der englische Botschafter
Pauncefote ist gestorben. Julian Pauncefote war
im Jahre 1828 geboren. Jm Jahre 1882 erhielt er den
wichtigen Posten des permanenten Unterstaatssekretärs im
auswärtigen Amte und als solcher nahm er auch 1885 an
den Verhandluugen in Paris Teil, welche zur Abfassung
der Suezkanal-Akte führten. Seit 1889 war Sir Julian
Pauncefote Vertreter Englands in den Ver. Staaten, an>
fangs als Gesandter, selt 1893 als Botschafter. Aufjder
Haager Friedenskonferenz war er der erste britische Delegierte.
Jn Washington war cr eifrig bemüht, die Beziehungen
zwischen den Vereinigten Staaten und England freundlicher
zu gestalten, allein es wurde ihm dies doch uur dadurch
möglich, daß England nachgab, wie z. B. in dem Nicaragua-
kanal-Vertrage. Es dürfte noch in Jedermanns Erinnerung
sein, welche Mißgriffe Lord Pauncefote als Doyen des
diplomatischen Korps bei den Vermittlungsversuchen vor
dem spanisch-amerikanischen Kriege machte, doch läßt sich
noch nicht genau feststellen, wie viel Schuld dabei auf sein
Konto und wie viel auf dasjenige des englischen auswär-

tigen Amtes kommt. Ueberhaupt scheint Lord Pauncefote
sich weniger zum selbständigen Diplomaten als zum stär-
digen Beamten im auswürtigen Amte geeignet zu haben.
Er litt schon seit längerer Zeit stark an Gicht.

»«»»»-»>", ...

Aus Stadt urrd Land.

L0. Karlsruhe, 23. Mai. (D i e Eiscnbahu -
wünsche deS T a u b e r g r u n d e s.) Seir mehr als
dreihig Jahren strcben die im Tanbergrund liegenden Gemein-
den eine Bahnverbindung zwischen Lauberbischofsheim und
Walldürn an. Ilachdem das Gesetz vom 7. Juni 1884 die Er-
bauung dcr Bahn Seckach-Walldürn und durch Staatsvertrag
vom 31. Otkober 1894 die Fortsetzung bis nach Amorbach ge-
sicheri war, mußte das Bestreben dcr zwischen der vorgenann-
ten Linie und üer bestehenden Tauberthalbahn gelegenen Ge-
gend naiurgemäh auf die Erstellung einer Zwischenlinie gerrcki-
rer sein. Langjührige Beinühimgen hatten dann endlicki den
Ersolg, dah die Großh. Regiernng im Jahrc 1900 eine Ge-
setzesvorlage, den Bau einer Bahn von Walldürn nach Hard-
heim Letreffend, borlegte, wclche in beiden Kammern unver-
änderte Anahme fand. Dic Bahn wird eine Länge oon rund
10 Kilometer erhalten. Die Baukosten einschliehlich Beschaf-
fung der Betriebsmittel, jedoch ohne Geländeerwerb, sind zU
938 000 Mark veranschlagt. Drc Badischc Lokaleiserrbahn-
Gesellschaft hat sich bereit erklärt, die Bahrr auf eigerre Rech-
nung zu bauen und zu betrerben, wemr die beterligten Ge-
meirrben das Gelände stellen und sertens des Staates ein Bei-
trag von 30 000 Mark pro Kilometer geleistet wird. Wie die
Weiterführrmg der Bahn am zweckrnähigsten uud am besren
den Bedürfnrssen der Devölkerung entsprcchend zu bewerkstel-
ligen sei, darübcr hat morgen dre Zweite Kammer zu beraren.
Es liegen Petitioneri bor von den Gemcinden Tauberbischofs-
heim, Königheim, Grssigheim nsw., verschiedenen Gemeinden
des Taubcrgrundes und des badischen Gaues und vorr den
Stäbien Bucherr und Walldürn betreffend die Erbauung erner
Bahn von Hardherm nach Tauberbischofsheim, sowie vorr deN
Gemeinden Külshcim, Wertheim nsw., betreffend die Erbauurrg
einer Bahn von Hardheim über Külsheim nach Bronnbach-
Die Kommission für Eiserrbahnen und Strahcn faßte keine
Entschliehung, welche Lrnie den Vorzug verdient, weil die
techrrischerr Voruntersuchungen fehlen. Sie war jedoch prin-
zipiell der Ansicht, datz die in Frage stehende, von dem Verkehr
abgeschlossene Gegerrd zu ihrer wrrtschaftlichen Entwickelung
einer Eiserrbahn bedarf und deshalb eine Fortsetzung der brs
zum Jahre 190Z zu erstellenden Linie Walldürn-Hardheiw
brs zu der bestehenden Tauberthalbahn gebuteir ist. Die Aus-
führung einer Bahrr von Hardheim über Schweinberg rrach
Tauberbischofsheim köirne jedoch sowohl wegen der technischest
Schwierrgkeiten dieser Strecke, als auch wegen der geringen
wirtschaftlichen Bedeutung einer derartigen Linre nrcht empfoh-
len werden. technischer Hinsicht dürftcn die beiden Kon-
kurrenzlinicn Hardheim-Schweinberg'-Külsheim-Bronnbach urrd
Hardheim-Gissrgheim-Königheim-Tauberbischofsheim ber nahe-
zu gleicher Länge und ähnlrchen Terrainschwierigkeiten kcine
erhcblrchen Unterschiede aufweisen. Für die letztgenamrte Linie
sei aber erne weitaus gröhere Zahl von Gcmeinden eirrgetreren:
es scheine deshalb das Jnteresse der Bewohrrer des nordöstlicben
Landestciles mehr für einen Bähnanschluh in Tauberbischofs-
heim, als für eineir solchen rn Bronnbach zu sprechen. Dir
Kommrssron gläubte zurrächst erne genaue Untersuchung der
beiderr Linren in technischer und wirrschaftlicher Hinsrcht durck)
die Grotzherzogliche Regiernirg empfehlen zu sollerr und be-
antragt, beide Pelrtronen der Regrerung zur KenntrrrsnahMe
zu überweisen und die Petitionen der Städte Walldürn urrd
Bucherr sowie der Gemeinderr des Taubergrrmdes und des
badischerr Gaues damrt für erledigt zu erklüren.

Udl. Karlsruhe, 23. Mai. Llb 1. Juni dieses Jahres sollen
laut Bekanntmachung im Verordrrungsblatt bei der Heilan-
stalt Jllenau folgende Bestimmungen in Kraft treterr'
Die Aversakvergütrmg für die Verpflegungskosten werden fest-
gesetzt: Für dic 1. Klasse auf 1000—1500 Mark pro Jatst'
2. Klasse 600—800 Mark, 3. Klasse 3S0—480 Mcrrk. Jnner-
halb dieser Grenzen ist die Aversalvergüturrg mit Rücksrcht anl
dre Eirrkommens- und Vermögensverhältnisse des Kranken odel
Zahlungspflichtrgen zu benressen. Ausländer sollen in der
Regel, soweit ihre Verpflegung rricht in der Klasse Pensionüre
stattzufirrden hat, nur in 1. Klasse gegen Entrichtung eirred
Aversalvergütrmg von 1800 Mark pro Jahr verpflegt werden-
Bei einer ilnterkunft und Vcrköstigung über das Matz der ersä'N
Klasse hinaus soll die Vergütung für inländische Kranke nickst
unter M00 Mark urrd für Auslärrder nicht untcr 2800 Ma^
pro Jahr betragen. .

Karlsruhe, 24. Mai. (Zur B a h n h o f s f r a g
schreibt der „Schwäb. Merkur" rreuerdings: Der Kcrrlsruhe'-
Bahnhofbau ist eine reine Zweckmähigkeitsfrag.e'
Nach dem Urteil bewährter Fachmänner smd die Eritwürst
T und 8 für den Betrieö gleich leistungsfähig zu gestalten uvd
auch gleich erweiterungsfähig; in den Baukosten ist kern erhed-
licher Unterschied, wemr man nicht einen Rotbahnhof zur
dingung macht. Die Jnteressen von sieben Achtel der Kaft^
ruher Eirrwohner sprechen für die Belassung. Daß unter svst
chen Umständen ein Mrnister, statt dem Landtag die Auswa"^
frei zu stellen, die Verlegung zur Kabirretsfrcrge macht, dürstd
in den parlamentarischen Annalen kaum ern Bcispiel firrdeN'
— Was das Baumeistersche Gutachten betrifft,

„Schon möglich. Jch habe seit meiner frühösten Krnd-
heit Erfahrungen gemacht, die nicht gerade geeigrret waren,
weiche Empfindungen in mir reifen zu lassen. Zlls kleiner
Junge fürchtete ich mich vor derrr beständig bctrunkerren Vater,
als armer Laufbursche bin ich geneckt und roh behcmdelt
worden, damr kam ich als Gehrlfe zu einem Trödler, der mir
zuerst kaum das Nötrgste gönnte, dann aber einsah, dah ich
klug, verschwicgen, uncrmüdlich thätrg und zu allem zu ge-
braucherr war. Eine mit Lähmung verbrmdene Krankheit
zwang den alten Mann, sich bald völlig auf mich zu ver-
lassen, rch wurde sozusagen seine rechte Hand. Als er starb,
heiratete ich seine Tochter, ein kränkliches, verwachsenes
Mädchen, das auch noch keirren guten Tag gesehen hatte, aber
an mir hing wie eine Klette. Sieben Tage rrctch Walters
Geburt starb sie und hinterlieh mir zwar kein grohes Ber-
mögen, aber doch so viel, dah ich damit eiwas anfcmgen konnte.
Geliebt habe ich die arme, häßlrche Frau nicht, aber das
schwache, blasse Kerlchen, das lerse wimmernd, wie eine junge
Katze in der Wiege lag und dessen Köpfchen, wenn man ihn
aufhob, hilflos von ciner Seite zur anderen schwankte, war
mir glerch ans Herz gewachsen. So lieb hatte rch nie zrwor
etwas auf der Wclt gewonnen. Bei mir wäre er schlecht auf-
gehoben gewesen, deshalb gah ich ihn erst einer jungen Bäu-
erin in Pflege und spüter dem Landpfarrer Graumann. All-
jährlich besuchte ich den klernen Bursche», stets in der Absrcht,
rhn rnit mir zu nehmen, aber sein krünklrches Ausseherr hielt
mich immer wieder davon ab. So wuchs er bei seinen Pflege-
eltern zum Manne heran und wurde dem eigenen Vater ent-
fremdet. Jetzt sind nun verschiedene Gerüchte über die Art
meines Erwerbs zu ihm gedrungen. Der Jurrge versteht
ja gar nichts davon, er hält mich für — für —"

„Für einen Wucherer."

„Ern sehr harter Ausdruck, Herr von Werther, derr ge-
rade Sie ungerechtfertigt siriden sollten."

„Jch müß zugeberr, dah Sie sich mrr gegenüber höchst
anständig benommen haben."

„Nicht wahr? Nnd jetzt könirten Sie mir einen recht grotzen

Gefallerr thun, für den rch zu jedem Gegendienst bereit b>n-
„Iiun?"

„Wenn Sie heute mern Gaft seirr und meinem Sohü^
die Grillen ausreden würden." ,

„Was fält Jhnen ern, Herr Breuer?" erwrderte Herbel
lacherrd. „Fch traue mir nicht so 'vrel Beredtsamkeit zu, nN
dre strengen Grundsätze Jhres Herrn Sohnes erschüttern 3^
können."

„Sie müßten ihn eben überzeugcn, dah arr dcm gan3^^
Geschwätz kein wahres Wort ist."

„An welchem Gcschwätz?"

„Dah ich auf Pfärrder leihe —"

„Sie thun es aber doch thatsächlich!" .

„Herr Baron, der Walter reist heute Abend wieder nN'
Das Gerede entstand durch cinen Maler, der sich vorüb>-stj
gehend in dern romantrsch schön gelegenen Dörfchen aushst,.'
das-häufig von Künstlern besucht wird. Jch habe ihm ew
größere Summe vorgestreckt, die er nrcht zurück bezahl^'
konnte, und rn Ermangelung einer anderen Deckung verlanö -
ich sein eben vollendetes Bild. Dort hängt esl Bis jetzt d'
sich noch kern Käufer gefunden."

„Ein hübscher Studienkopf." -

„Mollen Me das Oelgemälde erwerben? Jch würde ^
Jhnen sehr billig lassen." -

„Nein, Verehrtester I Meine Börse erlaubt es mrr nick '
den Krrnstmäcen zu sprelen."

„Also sprechen wrr nicht werter davon. Aber Sie könrnst,
— der Walter weih so gut wie nichts — er vermntet nur ^
"Und?" ,,, M

„Wemi Sie nun — natürlich, als geschähe es ganz
fällig und unaufgefordert, mit Jhrem altadeligen Namen l
mrch erntreten würden?"

' „Jnwiesern demr nur?"

„Nun — das Gespräch ließe sich ja so lenken."

„Jhre Arrdeiltringen sirrd mir völlig unverständlich."

(Aortschung folgt.)
 
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