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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 125-149 (2. Juni 1902 - 30. Juni 1902)
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Samötag. 28 Jmn 1W2.

Zweites Blatt.

44. Jahrg ag. — 148.



^rsch«int täglich, Sonntags ausgcnommen. — Prcis mit Fvmilienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgebolt 40 Pfg. Durch die Post de-

zogen vierteljährlich 1.3S Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.

^ uz eigcnpr ei S: 20 Pfg. für dic Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige GeschäftS- nnd Privatanzeigen ermähigt. — Für die Aufnahmc von Anzcigen an bcstimmt
dorgeschriebcnen Tagen wird keine Vcrantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Oie -eulfchett Kewerkschaftsorganifationen im
Iayre 190t.

(R. L. (L.) Aus dem viorten deuts ch e u
Gewe r t's ch,a ft s t v n g r e ß zu Stuttgart kam es
Ut voriger Woche auch zu leühasten Auseinandersetzungeir
Äer die Lelbständigkeit („Neutralität"!) der Ge-
tv e rt s ch a f t c n gcgenüber der S o z i a l d e in o -
traite. Tie Buchdrucker, denen dort ihre „aristokra-
tische" Stellung unter der Arbeiterschast vorgeworfen
churde, sordern eüie grötzere Freiheit: die Gewerkschaften
sotllen nicht tediglich Rekrutendrillanstalten sür die so-
zialdemokraten sein. Btit diesen Anschanungen standen
die wirklich „Neutralen" jedoch sehr vereinsamt; sie er-
suhren leidenschastlichen Widerspruch. Der Delegierte
Paeplow-Hamburg stellte sogar den Satz auf: Es be-
stehe sür die GLwerkschaften die Verpflichtung, mit allen
Milteln siir die Ausbreitung der Sozialdemokratie zu
tvirken.

Man hat also nach wie vor die gewerkschaslliche Zen-
tralorganisationen als die Kerntruppen der Sozialdemo-
krarie zllbetrachtenilnd von LiesenlGesichtspnukt aus auch
die sonst beachtenswerte statistische Arbeit der General-
kommissiml der Gewerkschasten über die dentschen Ge-
tverkschastsorganisationen im Jahre 1901 zu beurteilen.
Diese Organisationen zersallen in süns Hauptgrnppen:
die gewerkschaftlichen Zentralorganisationen. die christ-
licheu Gewerksck>aften. üie Hirsch-Dunckerschen Gewerk-
vereine, die unabhängigen Vereine und die lokalen Ver-
dine. Zu den erst- und letztgenannten gehören sast aus-
schließlich oder doch in überwiegendcr Mchrzahl sozial-
demokratische Elemente: der christlichen Gewerkschasten
hat sich das Zentrum beinächtigt.

Bereits im vorigen Jahre sagte die Generalkommis-
1'ion der „Zentralisierten" Angesichts der wirtschaftlichen
Krisis eine Abnahme der Mtgliederzahl der Gewerkschaf-
ten voraus. Diese wohlbegründete Annahme tras auch
ein: aber merkwürdigerweise nnr bei den sozialdemo-
krarischen Gewerkschaften und uüabhängigen Vereinen.
tvährend die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine trotz aller
Ansechtungen seitens der Sozialdemokraten eine ganz
erhebliche Zunahnie zn verzeichnen haben. Hinsichtlich
der christlichen Gewerkschaften versagt die diesjährige
Statiftik: es liegen nur die Zifsern vom Jahre 1900 vor:
1'ielleicht deutet dies Ausbleiben der vorjährigen Zahlen
ouf eine lleberraschimg hin, da in Stuttgart über die
starke Konkurrenz der christlichen Gewerkschaften Klage
genihrt ward: letztere hatten es im Iahre 1900 auf
1Ö9 770 Mitglieder gegen 112 160 im Jahre 1899 ge-
brachp also in dem einen Iahre einen Zuwachs von über
4? 000 Stimmen erfahren.

Der Bkitgliederstand der gewerkschaftlichen Organisa-
kionen sür 1901 war folgcnder: Gewerkschaftliche Zen-
tralorganisationen 667 610: Abnahme 2917: Christliche
Gewerkschaftcn (1900) 159 770 : Hirsch-Dunckersche

Gewerkvereine 96 765: Zunahme 5104: llnabhängige
Vereine 49 651: Abnahme 4993: Lokale Vereine 9380:
Abnahme 500.

Wenn nun die Mitgliederzahl der zentralorganisier-
ten Gewerkschaften im Ganzen eine Abnahme zeigp so
tveist die Zahl der weiblichen Mitgliedcr eine Zunahme
vni 855. von 22 844 auf 23 699 auf, ein Zeichen der
regen Agitation der Arbeiterinnen in der Gewerkschafts-
bewegung.

Die Statistik der Jähre von 1891 bis 1901 von 56
Organisationen der zentralisierten Gewerkschaften sührt
eine Einnahme von 51 189 999 Mk. und einc Ausgabe
von 45 000 672 Mk. aus; der wirkliche Kassenbestand
belies sich aber am Schluß des Zahres aus 8 798 332
Mark. Das sind sehr ansehnliche Lcistungen der zentra-
lisierten Gewerkschasten und einzelner Mitglieder! Zu
den jährlichen Einnahmen (im Iahre 1901 1 722 720
Mark) trug die Gewerkschaft der Buchdrucker, der „Ari-
stokraten" unter der Arbeiterschaft, pro Kopf das Meiste
bei; dec einzelne Buchdrucker zahlte an die Gewerkschaft
einen Beitrag von 65 Mk. 10 Psg.; in weitem Abstand
folgten dann die Bildhauer mit 29 Mk. 83 Pfg., Hand-
schuhmacher 22 Mk. 74 Pfg., Gläser 22 Mk. 25 Pstz.
u. s. w., Maurer 15 Mk. 44 Pfg., Metallarbeiter 12
Mark 72 Pfg. u. s. w., bis die lange Kette mit dcn Min-
destbeiträgen der Bureauangestellten, Fleischer und Mas-
senre mit 6 Mk. 70 Pfg., 5 Mk. 22 Psg. und 4 Mk.
62 Psg. schließt.

Deutsches Reich.

Ki e l, 26. Iuni. Der Kaiser hat den Köni g
von England ü In snilk der Marine gestellt:
der König hat diese Ehrung angenommen und der Kaiser
hat hierauf heute Abend der Flotte durch Flaggensignal
folgenden Befehl bekannt gegeben: „Se. Maj. Eduard
König von England hat gernlit, die Stellnng ü la 8nita
mciner Marine anzunehmen, ich hosfe, daß dieselbe sich
dieser hohen Ehre allezeit bewußt bleibt, welche sie gleich-
zeitig in engere Beziehung zu unseren Kameraden von
der englischen Marine gebracht hat. Die Flotte setzt
sofort englische Toppflaggen und seuert einen Salut von
21 Schnß mit drei Hurrahs für S. M. den König von
England." Der Befehl des Kaisers wurde von den im
Hafen liegenden Kriegsschiffen sofort auSgeführt.

Baden.

— Zur ^rage des Landtags - Schl u s s e s
schreibt man der „N. Bad. Ldsztg." aus Karlsruhe:
Jn den letzten Tagen erhielten die Blätter Mitteilungen
über den Schluß des Landtags. Diese Nachrichtcn ent-
behren alle einer thatsächlichen Grundlage, da bishcr Ver-
handlungen bezüglich der Beendigung der Landtagsbe-
ratungen zwischen der Regiernng nnd den Kammerprä-
sidien noch nicht stattgefunden haben. Derartige Ver-
handlungen Ivaren auch nicht möglich, schon im Hinblick
auf das noch zicmlich umfangreiche Arbeitspensum der
Zweiten Kammer. Tieselbe hat noch verschiedene kleine
Vorlagen zu erledigen, Antxägc der Zentrums- nnd so-
zialdemokratischen Fraktion zu beraten und sich noch mit
der W a h I r e ch t s f r a g e zu beschäftigen. Diese wich-
tige Frage ruht immer noch im Schoße der Verfassungs-
Kommission, die, wie man hört, eine Erklärung der Re-
gierung in dieser Angelegenheit erwartet. Es verlautet,
daß die Regiernng einen Gesetzentwurf auf Einführnng
des direkten Wahlrechts sür die nächste Landtagssession
in Aussicht stellen will. Wenn dies zutreffen sollte,
dürfte die Wahlrechtsfrage im Plenum zu keinen langen
Verhandlungen führen. In Abgeordnetenkreiscn ist
inan im llebrigen der Ansicht, daß die gegenwärtige
Landtagstagung sich nicht über den 15. Inli ausdehnen
wird.

Aadischer Larrdtag.

Karlsruhe, 27. Juni. (18. Sitzung der
Ersten Kammcr.) Wir lassen nunmehr den Schluß
des Berickles über d!e Sitzuna am Donncrstag folgen.

Geh. Kommerzienrat Scipio berichtct über den Fort-
gang des E i s e n b a H'N b a u e s in den Jahren 1900 imd
1901 und dcn hierfür aus Mitteln dcr Eisenbahnschulden-
tilgungskassen beftrittenen Aufivand. Einc Beanftandung wird
nicht erhoben und der Kommissionsantrag in dicsem Sinne
cinstimmig angenommen.

Hieranf berichtet Geh. Kommerzienrat Scipio weitcr
übcr das Spezialbudgct des Eisenbahnbaues für die
Jahre 1902 und 1903. Der Nachtragsetat soll mit dem HauW
budget zusammen beraten werden. Der Antrag geht auf
Genehmigung.

Geh. Kommerzienrat Sander stimmt dcm „gcmischten"
System zu. Die noch zu bauenden Nebenbahnen seien grötz-
tenteils unrentabel, müssc fie der Staat baucn, so entstünderr
schwere Nachteile. Die Siadt Lahr komme lcider im Dudget
nicht vor. Die Jndustrie der Stadt leide not durch die un-
genügenden Verkehrsverhälinisse. Redner schildcrt die Lahrer
Klagcn eingehend und sprichl sich für das Projekt mit Ver-
legung der Hauptbahn gegen Lahr aus, durch das die Zweig-
bahn wegsiele. Es sei cin Staatsinteresse, eincr alten Jn-
dnstriestadt weiter zu helfen. Die Verlängeruiig dcr Linie
nnd die Steigerung machen nichts aus, auch dic Riedgemeinden
hättcn keinen Schaden. Andererseits hätten alle Thalgemein-
dcn näher zum Bahiihof. Man möge die Frage noch ein-
gchend prüfen, Lahr wcrdc das statistische Material dazu lie-
fern. Dcr Mehraufwand von 4 Millionen komme bci diescm
Bndgct nicht in Betracht.

Staatsministcr v o n B r a u c r: Dcr Vorredner habe
ctwas grell, aber im ganzen richtig die Lahrer Bahnhofvcr-
hälinisse geschildert. Diese scien aber an dem Ausbleibcn
deS industriellen Aufschwungs in den letzten Jahren uicht
schuld. Ileber die drei Projekte sei eine endgiltige Entscheidnng
noch nicht getroffen; die einzelnen Jnteressen müßten gegen
einander abgewogen wcrden. Es sei zu hoffen, daß man
sich mit Lahr über ein Projekt einigen werde. Dem Bericht-
crstatter gegenüber bemerkt der Minister, datz Luxusbauten
seines Wissens nicht errichtet worden seien, wenn man von
Badcn-Baden absehe, wo ein bcschcideiier Schmuck des Aeuhe-
rcn am Platz war.

Geh. Kommerzieiirat Krafft wird für das Budgct stim-
mcn, will aber doch gegen die Höhe der Forderimgen Bedenken
äutzern. Die Ansichten über dic erhoffte Bcsserung der
wirtschaftlichen Lage gehen auseinander; der Redner ncigt
ctwas zu pcssimistischer Auffassung. Um konkurrcnzfähig zu
blciben, mütztcn wir unsere Bahncn auf der Höhe erhaltcn.
Als Lokalwunsch beantragt Redner eine Vcrbindung von St.
Bkasien mit der Hauptbahn, sei es durch cine Privatbahn mit
Staatsunterstützung, sci cs durch einc reine Staatsbahn.

Freiherr von N e u b r o n n will kcinc neiien Positionen
in Lliircgimg bringen; er würde lieber einige Posikionen ver-
missen. Er wird aber dem Budget zustimmen, weil d!e Erste
Kammer einzelnc Positionen nicht verwerfen kann. Wünsche
imd Mahmmgen dürfe man abcr äutzern. Jm Ganzen ist Red-
ner der Ansicht, daß die Anfordernngen eine enorme Höhe
erreicht haben und ernste Bedenken wecken, denn es komme
dazu, daß die Finanzlagc des Landes daruntcr leide; heiße
es doch jctzt schon, datz manche Landesausgabcn zwar nötig
seien, datz aber das Geld sehle. Jn 12 Jahren sei dic Eisen-
bahnschuld von 320 MMonen auf 380 Millionen gestiegcn imd
nim komme dieses Baubudget hinzu, in einer Zeit, in der die
Staatsbahnen nicht einmal mehr die ordentlichen Ausgaben
dccken. Dabei lasse er die Zukimftsmusik mit den 273 Mil-
lionen außer Betracht, dcrm diese Summe sei ja ganz unver-
bindlich. Frage man sich, warum der Eisenbahnbau so viel
Gcld crfordere, so sei dies nicht allein die Verkehrssteigerung,
sondern auch dic Sicherimg dcs Betriebes, und dafür kömie
nichts zuviel sein. Ferncr habe man Bahnen zu erstellcn, die

Keidetverger Utaudereiett.

?? Heidelberg, 28. Juni.
Neulich kam cin Bauer und Fuhrmann aus dem hessi-
ichen Odenwald mit seinem Gefährt durch Handschuhsheim. Er
(vollre dcm Karusscl ausweichen, das dort zur Kirchweih sein
vclt aufgeschlagen hatte, geriet dabei zu weit auf die Seite und
luhr direkt auf einen Laternciipfahl. Nach physikalischen Ge-
wtzen machte die Laterne, als der Pfahl unten den Stoß er-
mclt, einen Nicker und zwar einen so starken, daß sie das
dleichgewicht verlor und samt der Petroleumlampe herunter-
ncl. Eiiix Scheibe und der Cylinder waren hin, der Brenner
stark verbogen. Der Fnhrmann besah sich den Schaden, schüt-
!?ste den Kopf, ging in eine Wirtschaft und bestellte sich ein
Ljürtel Wein. Vierzig Pfennig wird es kosten, meinte er.
Iach kurzer Zeit erschien der Polizeidiener mit einem Vertreter
?cr Gemeindevcrwaltung in der Wirtschaft, nm dcn „Vetter",
^cr dcn Schaden angerichtct hatte, zu suchen. Auch ein Flasch-
'cr war in der Nähe. Als berechnet wurde, daß der Schaden
^-50 Mk. betrage, sagtc der Fuhrmami kein Wort, stützte den
j.upf auf und schwieg. Er war augenscheinlich aufs peinlichste
Uberrascht. Dann kam cs zu Nnterhandlimgen, schließlich er-
sich der Flaschner, die Sache für 1,90 Mk. in Ordnung zu
tnigen. llnd so geschah es.

h. Lange wird der Pfahl den Fuhrmann nicht ärgern, denn
st Mtadt Hcidelbcrg bringt den Handschuhsheimern zum Ver-
Zuigungs-U-ngebinide die Gäsbeleuchiung, Merzig Gas-
P)crnen sollen die öffentliche Beleuchtung in dem zukünftigen
radttEil übernehmen. Von den dörflichen Petroleumlampen
I?ge man eine zum Andenken an das für Handschuhsheim so
u'chlige Jahr 1902 im dortigen Rathause aufbewahren!

So macht Hcrdelberg moralische Eroberungen in Hand-
nU'hsheim, noch ehe der Anschluß vollzogen ist! Gewonncn
tzä" ganz unser wird Handschuhsheim aber erst sein, wcnn
r^^Ürische dcn Verkehr dorthin vermitteln wird. Aber
u hängi noch vieles drum und dran. Die Frage der dritten

Brücke imd die der Verlcgung der Nebcnbahn müssen cnt-
schieden werden, ehe ein sicheres Programm für dic Gestaltimg
der Verkehrsverhältnisse aiifgestellt werden kann. Bci solchen
Unternehmungen pflegen sich aber allerlei Jntercssen zu krcu-
zcu, so daß es langer Berhandlungen bcdarf.

Mil der Verleginig unseres Heidelberger Bahnhofs ging
es in dieser Hinsicht doch eigentlich recht glimpflich. Nim sind
wir schon so iveit, daß die erste Rate für das auf 20 Mill. ge-
schätzte Unternehmen im Nachtragsbudget von dcr Zweiten
Kammer bcwilligt worden ist. Trotz der riesigen Summe, die
da für Heidelberg aufgewendet wird, ist die Nachricht hier mit
auffallendem Gleichmut hingenommen worden. Erstcns war
man ja sicher, daß es so kommen werde, nnd dann wird der
Bahnhof hinter der Kriegskurve, sei es auch cin intercssantcr
Tiefbahnhof und koste er 20 Millionen, doch immerhin als cine
mehr oder weniger harte Notwendigkeit betrachtet. Man kann
sich nicht dafür begeister». Vielleicht kommt das Frohgcfühl
später, wenn er einmal fertig ist.

Mit dem 20 Millionen-Bahnhof sind ivir ohnc Zweifcl jc-
dem Ansturm von Fremden gewachsen. Sehr erfreulich ist,
daß troh dem so ungünstigen Wetter der letzten Monatc dcr
Fremdenbesuch ni Heidelberg in diescm Jahre durchans nicht
zurückgegangen ist. Wie die Steuerkapitalien, so steigen auch
die Fremdenzlffern in stetiger Weise. Wenn es so wciter
geht, kommen 'wir in einem der nächsten Jahre anf 200 000.
Das ist mehr als manche Großstadt aufzuweisen hat.

Das schlechte Wetter dieses Jahres soll nach dcr Mci-
nung Einiger mit den vulkanischen Ausbrüchen in Zcntral-
amcrika zusammenhängen. Diese Vermutnng liegt ja nahe,
aber es ist doch eben nur eine Vermutung. Da und dort fangen
inm die Kongresse imd Generalversammlungen an, die allc
vom Wettergott Begünstigung heischen. Bei uns ist diesmal
und bis dato nichts Bedeutendes derart in Sicht. Das Süd-
wcstdeutsche Schützenfest haben bekanntlich die Neustadter über-
nommen. Jn den ersten Nummern ihrer Schützciifest-Zeitung
werbcn sie mit Bildern und vielen Weinhandlimgsiiiserateii

mächtig für ihr Unternehmen, das nnter dcm Protektorate des
Prinzen Ludwig steht. Auch aus der schönen Gegend, die,
wie der Protektor kürzlich nach Berichten von Ohrenzeugcn
klagte, „uns (das heißt dem Hause Wittelsbach) vor hundert
Jahren gewaltsam entrisseii wurde", werden vermutlich nicht
wen'ige !n Neustadt erscheincn; Heidelberg wird bekanntlich stark
vertreten sein, denn es reizt, das, was hier im vorigen Zahre
geboten wnrde, mit dem zu vergleichen, was man in Neu-
stadt den biederen Schützenbrüdern bietet. Nach dem Pro-
gramm zn urteileu, werden beide Fcste eiiic nnverkemibare
Familicnähnlichkeit aiifweiscn. Den Klagen dcs Protcktors,
anch in der gsmilderten offiziösen Fassung, dürftcn gerade die
Schiltzciivereiiiigungen wenig Verständnis entgegenbringcn,
dcnn sie sind von jeher für die Einigung nnd Stärke des Deick-
schcn Reichcs eingetreten imd Lefindcn sich damit zu dcn dyna-
stischen Kämpfen der Vergangenhcit in einem bcwnßten Gegen-
satz. Wenn in den Schützenbechern cin guter Tropfen von
bessercr Pfälzer Markc perkt, darm ist nicht die richtige Zeit
da, nm sich grübelnd und mürrisch in die Vergangenheit zu
verscnken, dann ist man vielmehr geneigt, die sonnige, lebendige
Wirklichkeit zu umfassen, womit natürlich nicht irgcnd eine
fesche, blonde „Schützen-Liesel" gemeint ist. Halten wir uns
an die Gegenwart und ein wenig an die Zukunft und lasscn
ivir das Vergangene vergangen sein!

— Cine reizendc Neuheit in der Kravatrenbranche ist vou
einem Hcrrn B l a n ck erfimden worden. An Stelle der
oft mischön inid monoton aussehendcn Schleifen werden jetzt
Blumen aller Art, insbesonderc StiefmLtterchen, Rosen, Astern
usw. gcsctzt, die, in beliebiger Farbenpracht gehalten, entzückend
wirkcn. Die Blumenkravatte (paientamtlich im Jn- und
Auslande geschützt) verleiht dem Gesicht einen cigenartigeu
frischen Ausdruck und wird jedenfalls von unserer Modenwelt
mit großer Freuöe begrüht und gctragen werden.
 
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