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Heidelberger Volksblatt (68) — 1933 (Nr. 226-299)

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Nr. 226 - Nr. 230 (2. Oktober - 6. Oktober)
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Novelle hes uut Eur

Das Iahr iſt reif und reich. Früh goldet die Sonne am
Himmel und ſpät rollt ſie ihr Rad heim in die ſammetweichen
Nächte, die mit violettenem Glanz aus dem Horn der Täler
fließen. Zwiſchen Aufgang und Untergang iſt in den Feldern
die Muſik der Senſen. Breitbeinige Schnitten fällen die Reife,
und die Mägde bündeln ſie zu Garben. Das Feſt der Ernte
hat angefangen. Der Ruch der Frucht iſt wie Weihrauch
dem Lobgeſang der Lerchen. An den Rainen lächeln in zerfal-
lenen und uralten Steinniſchen ſchlichte Madonnen über die
Büſchel von Wieſenblumen, die bunter ſind als alle Farben
des Iahres. Letzte Nachtigallen träumen ihr Lied zwiſchen
Abend und Morgen. Ein lauer Wind ſpielt die Orgel zu
ihrem Fagott. Leiſe Bäche ſummen verliebt mit und machen
das Trio erſt voll. Das iſt der ſpäte Sommer.

Aus dem Schulhaus zu Schönau — dieſes Dorf iſt ein war-
mes Nest zwiſchen den Waldhügeln – kommt der junge Schul-
meiſter heraus, weil ihm die Stuben zu eng ſind. Wie die
Türe ins Schloß fällt, ſchickt das Cello, das an den Schreibtiſch
gelehnt steht, ihm einen Klanggruß nach. Oder gar eine Mah-
nung? Er hat Mozart geſpielt und Schubert vorher. Sonſt

wird er immer ruhig bei dieſen Meiſtern, aber heuer ſetzten
| ſich mehr als einmal die Finger falſch auf die Saiten. Tat
das das reife Iahr? Oder wer trägt die Schuld? Johannes
) iſt faſt in der Stille erſtict. Das Blut ſeiner dreißig Iahre
| hämmerte in die ſchlichte Muſik und wollte nicht Ruhe geben.
Zwiſchen dem Angelus über dem Dorf und det zehn Glotken-
ſchlägen, die jetzt ſilbern aus dem vierſchrötigen Kirchtum fal-
len, lag eine endloſe Zeit. In allem Dur klang ein Moll mit.
Ein emſiges Heimchen warf ihm den Takt durcheinander, bis
er den Bogen fortlegen mußte. Ietzt geht er rund um das
Dorf und ſchleift eine Frage mit ſich herum. Die Frage heißt:
Elis! Elis heißen die beſten Mädchen im Volt auf ver Rhön.

Der Mond kommt jetzt rund und gutmütig über den Berg.
Der Mond lacht dem Schulmeiſter in ſein Gesicht. Auch der
Mond ſagt nichts als nur: Elis. Irgendetwas zerrt an dem
Schulmeiſter: hol ſie dir doch! Aber er wehrt ſich dagegen, ſo
wie er das drei Jahre ſchon tut, denn der Hofbauer iſt reich
und der Lehrer iſt arm. Der Hofbauer hat Aecker und Mieſen,

aber ITohannes hat nicht mehr als ein ſchmales Gehalt und
dazu die Kinder der Dröfler und die Töne, die er am Abend
dem Cello entlockt. Elis Vater wird ihn von der Schwelle
z! rt ust Alt te svrtnuittt sun
| Finger zu ungeſchickt auf den Saiten. Was tut es ſchon, daß
die Elis ihm vor dem Kirchentor zugelacht hat, wenn er am
Sonntag die Orgel ſo anders ſpielte wie früher der alte Küſter,
der die heiligen Taſten bediente, als ging er mit ſeinem
Klumpfuß darüber. Die Elis iſt nicht ihr Vater . . ..
î_ Schwer und dick liegt des Hofbauern Hof königlich hinter dem
Dorf. Wenn die Bauern vorübergehen, ſind ſie verſucht, nach
den Kappen zu greifen. Wohl leiht der Bauer den Armen
die Pferde aus für ihre ſchmalen Aecker, und er tut auch sſonſt
mehr, als daß er am Tage Fronleichnam die Kerze hinter dem
Herrgott im Brot herträgt. Keiner der Dörfler fteht gegen ihn.
Und dennoch wagt keiner von ihnen, ihn einen Bruder zu nen-
nen. Mit der Elis können es alle ſchon beſſer. Die Elis hat
blanke Augen, die die Kinder heranlocken und den Müttern
gut zuſprechen, die ſich arg plagen müſſen. Des Hofbauern
Mädchen iſt ihrer toten Mutter, die gleich einer Taube war,
wie aus dem Geſichte geſchnitten. Ihre Zöpfe liegen ſchwer
„auf dem Kopfe, und ihr Gang ift w?- Pappeln im Frühjahr.
Nun ſteht die Elis im Garten, den ein Zaun von der Straße
trennt. Ihre Arme liegen auf das Gatter gestützt, und ihr
Herz horcht umſonſt nach dem Spiel aus dem Schulhaus.
[Warum jpielt der Lehrer nicht mehr? Gar zu früh hörte er
„auf. Sie ſpricht zu fich ſelbſt: „Vielleicht ift er ängſilich bedacht
jum den Schlaf der Bauern. denen um vier ſchon der Tag an-
j fängt; vielleicht stützt er jetzt den Kopf in die Hände und weiß
¡nicht, wohin. „Elis ſchaut nach dem Hauſe zurück, und wie



alles still iſt darin, ſchlüpft ſie aus dem Garten hinaus. Ste
will um das Dorf gehen und heimlich in die Lehrerſtube hin-
einſehen. Weil sie aber die Leute fürchtet, nimmt fie den Wie-
ſenweg, der die Schritte wie ein Teppich leiſe macht. /

So kommen ſich Schritte entgegen, leiſe bedtchlige Schritte,
und andere, die feſt klingen. Zwei
der Brücke, die über den Bach geht, der nun ſeinen Atem ver-
hält. Ein Mann ſagt: „Elis“, und eine Frau ſagt: „Iohan-
nes“. Mehr wird nicht geſagt. Hände tuen ſich ſtitl ineinander,
und alle Fragen gehen unter in dem Iubel: „Warum kamſt
Du nicht lang?“ fragt das Mädchen faſt fröhlich. „Ja, warum
nicht?“ kommt eine zaudernde Antwort. Zwet Menſchen ſtehen
ſtill beieinander und begraben das Urteil der Welt, weil ihnen
das Geſetz Gottes, das durch die Reife des Sommets ſchwingt,
mehr wiegt als alles kleinliche Maß.

In die ſtille Mitternacht ſpielt ein Mann Beethoven. In
der ſtillen Mitternacht horcht ein Mädchen aus ſeiner Kammer
und lächell. Um Mittag ſchreitet der große Hofbauer wie ein
Kind fröhlich durch Schönau. Rechts hält er die Elis an ſeiner
braunen Hand und links den Schulmeiſter Iohannes. Die
Bauern drücken ſich an den Scheiben die Naſen platt und
tuſcheln zuſammen. Im Felde kommen die Schnitter herbei
und lachen den dreien entgegen. Alle Madonnen rings an den
Rainen erſticken am Abend faſt hinter den Sommerblumen, die
die Liebesleute herbeitrugen. Kein falſcher Ton kommt mehr
aus den Saiten, die derSchulmeiſter ſtreicht. Das Iahr ist reif

und reich und tut einen hohen Verſpruch. Am Tage Eliſabeth
iſt ſchon die Hochzeit.








E -

1. Wo iſt der Gärtnerburſche? 2. Wo iſt die Kuhmagd?



Rätſellöſungen aus der vorigen Nummer

Pyramidenrätſel: 1. a, 2. au, 3. Tau, 4. Tuba, 5. Braut, 6. Tauber,
7. Trauben, 8. Beratung, 9. Bauerngut.

Silbenrätſel: 1. Straßenraub, 2. Efendi, 3. Iudas, 4 Wilent,
5. Allah, 6. Sahara, 7. Deſſertkorb, 8. Ulme, 9. Wieland, 10. Imme,
11. Langobarden, 12. Laboratorium, 18. Sonnentau, 14. Tumult,
15. Armee, 16. Bosporus, 17. Engerling, 18. Regatta, 19. Dispoſition,
20. Abſtinenz, 21. Sandelholz, 22. Warſchau, 23. Antonius, 24. Sabo-
tage, 25. Dementi, 26. Union, Sei was du willtit, a ber
das, was du biſt, habe d en Mut es ganz zu ſein.

Kreuzworträtſel: Wa ag e r e < t: 4. Amerika, 6. Hai, 7. Eve, 9.
Karl, 10. Raſt, 12. Baſe, 13. Meer, 15. Laie, 16. Leim, 17. Brieg, 19.
Sehe, 10 cut. Emil, 2. Argentinien, 3. Oker, 4. Aare, s.Adam,
6.Haſe, 8.Eſel, 9. Kai, 11. Tee, 12. Bar, 14. Rio, 17. Baſel, 18. Grete.



[Berantwortlich für dieſe Beilage: C. F ü r | Heidelberg.)

Menſchen treffen ſich an





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Nr. 56 .. h N ! Ölfcher M E . ôô





. Von Karl May

Der Abdruck der vorſtehenden Erzähluig erfolgt mit Genehmigung des K ar l- M a y - Ver l ag s, Radebeul bei Dresden, der ſämtliche

Urheber- und Verlagsrechte an Karl Mays Geſammelten Werken beſitzt.

53) (Nachdruck verboten.)

Der Mond ging eben auf, als wir die Nähe des Mantizila erreich-
ten und in die Schlucht kamen, wo im Cottongeſträuch die Schildwache
zu ſtehn pflegte. Sie war auch heut abend da und rief uns an. Auf
unſre Antwort bemerkte der Mann: _

„Dürft es nicht übel deuten, daß ich jo ſcharf fragte. Müſſen heut
vorſichtiger ſein als Jonſt.“

„Warum?“ forſchte ich.

„Scheint hier herum etwas los zu ſein.“

.j„Was?“

„Weiß es nicht genau. Muß ſich aber etwas ereignet haben, denn
der kleine Mann, Sam Hawtens heißt er wohl, hielt eine lange Pre-
dict. als er heimkam.“

„Er war alſo fort?“

„Ia.“ ;

„Noch jemand?“

„Neitt; er allein.“

Es war alſo richtig, daß der ſonſt ſo kluge Sam die Dummheit be-
gangen und Rollins befreit hatte.

Als wir durch die Enge und das Felſentor geritten waren und in
die Feſtung kamen, war das erſte, was wir erfuhren, daß fich das
Befinden Old Firehands verſchlimmert hatte. Es war zwar keine
Gefahr vorhanden, aber ich erwähne es, weil dieſer Umſtand mich von
Winnetou trennte.

Der Apatſche warf ſeinem Pferde die Zügel über und ging nach
dem Lagerfeuer, wo das „Kleeblatt“, Harry und der Offizier von
Fort Randall bei Old Firehand ſaßen, der in weiche Decken gehüllt
war.

„Gott ſei Dank!! — Wieder dal“ begrüßte uns ber Kranke mit
matter Stimme. „Habt ihr den Pedlar gefunden?“

„Gefunden und wieder verloren“, anwortete Winnetou. „Mein
Bruder Hawtkens iſt heut fort geweſen?“

„Ia, ich war draußen“, antwortete der Kleine ahnungslos.

„Weiß mein kleiner, weißer Bruder, was er iſt?“

„Ein Weſtmann, wenn ich mich nicht irre.“

„Nein, kein Weſtmann, ſondern ein Dummkopf, wie Winnetou noch
keinen geſehn hat und auch niemals wieder einen ſehn wird. Howgh!“

Mit dieſem Beteuerungswort drehte er sich um und ging fort. Die-
ſer Ausſpruch des ſonſt ſo ruhigen und jogar zartſühlenden Apatſchen
erregie natürlich Aufsehn; der Grund aber wurde allen leicht be-
greiflich, als ich mich niederſette und erzählte, was wir erlebt hatten.
Santer gefunden und doch wieder verloren! Das war ein Ereignis,
wie es gar kein beveutenderes geben konnte. Der kleine Sam war
außer ſich; er gab ſich alle möglichen ehrenrührigen Namen; er wühlte
ſich mit beiden Händen in ſeinem Bartwald herum, doch ohne Troſt zu
finden; er riß ſich die Perücke vom Kopf und quetſchte ſie in die ver-
ſchiedenſten unmöglichen Gestalten, wurde aber auch dadurch nicht
beruhigt; da warf er ſie zornig zu Boden und rief:

„Winnetou hat recht, vollftändig recht: ich bin der größte Dumm-
kopf, das albernſte Greenhorn, das es geben kann, und werde bis an
das Ende meiner Tage ſo dumm bleiben.“

„Wie konnte es nur geſchehn, daß dieſer Rollins losgekommen ift,
lieber Sam?“ fragte ich ihn. ;

„Eben nur durch meine Dummheit. Ich hörte zwei Schüſſe fallen
und ritt der Gegend zu, wo ſie ertönten. Dort traf ich einen an

einen Baum gebundnen Menſchen und ein daneben angehängtes
Pferd, wenn ich mich nicht irre. Ich fragte ihn natürlich, wie er in
dieſe Lage gekommen ſei, und er gab ſich für den Pedlar aus, der
Old Firehand aufſuchen wolle; er ſei von Indianern überfallen und
hier angehängt worden, ſagte er.“

„Hm! Ein Blick auf die Spuren mußte Euch doch zeigen, daß von
Indianern keine Rede war!“ :

„Iſt richtig; hatte aber meinen ſchwachen Tag, und da prüfte ich
nicht und machte ihn los. Wollte ihn hierher bringen; er aber
ſprang auf ſein Pferd und jagte in entgegengeſetter Richtung davon.
Es wurde mir unheimlich, zumal der Indsmen wegen, von denen er
geſprochen hatte, und ſo hielt ich es für das Befſte, ſchleunigst hierher
zu reiten und zur Vorſicht zu mahnen, wenn ich mich nicht irre.
Möchte mir vor Aerger alle Haare einzeln ausreißen, aber auf dem
Kopf habe ich keine, und daß ich mir meine Perücke damit verderbe
und ſchimpfiere, das macht die Sache auch nicht anders. Aber morgen
mit dem frühſten werde ich die Fährte dieſer Kerls aufsuchen und
nicht eher von ihr lasſen, als bis ich ſie alle gefangen und ausgelöscht
habe !“ .

„Mein Bruder Sam wird das nicht tun“, ließ ſich da Winnetou
hören, der wieder in die Nähe gekommen war. „Der Häuptling der
Apatſchen wird dem Mörder allein folgen; ſeine weißen Brüder
müſſen alle hier bleiben, denn es iſt möglich, daß Santer doch noch
nach der ,„Feſtung“ ſucht, um ſie auszurauben; da sind kluge und
tapfre Männer zur Verteidigung nötig.“ -

Später, als man ſich über das Ereignis einstweilen beruhigt hatte
und ſchlafen ging, ſuchte ich nach Winnetou. Sein Pferd weidete am
Waſſer, und er hatte ſich in der Nähe ins Gras gefſtreckt. Als er mich
kommen sah, ſtand er auf und ergriff meine Hand.

„Winnetou weiß, was ſein lieber Bruder Scharlieh zu ihm ſagen
will; du möchteſt mit mir fort, um Santer zu fangen?“

„Ia.'t

„Das darfſt du nicht. Die Schwäche Old Firehands hat ſich. geſtet-
gert; ſein Sohn iſt noch ein Kind; Sam Hawtkens wird alt, wie du
heut geſehn haſt, und die Soldaten aus dem Fort müsſſen als Fremd-
linge betrachtet werden. Old Firehand braucht dich nötiger als ich.
Ich jage Santer allein und bedarf dazu keiner Hilfe. Wie aber, wenn
er, während ich nach ihm ſuche, Geſindel an ſich zieht und hier ein-
bricht? Beweiſe mir dadurch deine Liebe, daß du Old Firehand be-
ſchützeſt! Willſt du dieſen Wunſch deines Bruders Winnetou erfüllen?“

Es wurde mir ſchwer, in die Trennung von ihm zu willigen, voch
drang er Jo lange in mich, bis ich nachgab; er hatte recht: Old Fire-
hand bedurfte meiner nötiger als er. Aber ein Stüt begleiten mußte
ich ihn. Noch ſchien der Morgenſtern hell, fo ritten wir miteinander
hinaus in den Wald, und grad als es iagete, hielten wir an det
Stelle, wo wir von der neuen Fäÿrte Santers umgekehrt waren.
Für das ſcharfe Auge bes Apatſchen war ſie nsch zu erkentien.

„Hier ſcheiden wir“, ſagte er, indem er ſih) auf ſeinem Pferv zu
mir herüberbeugte und den Arm um mich ſchlang. „Der große Geiſt
gebietet, daß wir uns jett trennen; er wird uns zue rechten Zeit
wieder zuſammenführen, denn Old Shatterhand und Witttetou kött-
nen nicht dauernd geſchieven ſein. Mich treibt die Feitdſchaft fort;
dich hält die Freundſchaft hier; die Liebe wirv mich wieder mit vie
vereinigen. Howgh!“ :

Ein Kuß für mich, ein lauter, gellender Zuruf an ſein Pferv, und




 
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