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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 24.1913

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Osborn, Max: Zweck, Form und Schmuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7709#0489

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XXIV. JAHRGANG.

DARMSTADT.

DEZEMBER 1913.

ÜBER ZWECK, FORM UND SCHMUCK

BEMERKUNGEN ZU ILSE DERNBURGS „IMPERATOR"-KABINEN

VON MAX OSBORN

Wir sind in Kunstgewerbe und Innenarchitektur
zur Zeit auf einen Standpunkt gelangt, der
sich am besten mit einem Wort aus den Parla-
mentskämpfen des letzten Jahres kennzeichnen
läßt: Wir haben Angst vor der eignen Courage
bekommen. Mit einer ungeheuren künstlerischen
und ethischen Energie war Deutschland dahin
gelangt, sich den Rahmen seines Lebens aus
eigner und moderner Kraft neu zu zimmern. Aus
bestimmten theoretischen Erwägungen war, den-
noch ohne Dogmatik, ein freies neues System von
Formbegriffen erwachsen, das eine weithin wir-
kende Entwicklung auf gerader Linie zu garan-
tieren schien. Ein Sieg schien erfochten zu sein,
der nun nach allen Seiten hin ausgenutzt werden
sollte. Das beglückende Gefühl verbreitete sich:
aus dem Wesen unserer Kultur und unserer
Existenz praktische Lehren für Handwerk und
Werkkunst gewonnen zu haben, die mit ihren
Wurzeln so tief im Boden der Zeit verankert
waren, daß ihre Gesundheit und ihr Gedeihen
gesichert scheinen mußten. Aus greifbarer Nähe
schon winkte die große Einheit vergangener
Zeiten zwischen Lebensanschauung, Gesellschafts-
formung und ästhetischer Empfindung, die wir

ersehnten. — Wird, was so nahe grüßte, bald
Wirklichkeit werden? Kein Zweifel: es gilt noch
manchen neuen Strauß auszufechten bis zu diesem
Ziel. Keinen Augenblick darf, wer es ernst
meint, die Hände in den Schoß legen und seine
Wachsamkeit vermindern. Vom Mastkorb kommt
der Warnruf: Gefahr im Verzuge! Und darum
heißt jetzt das Kommando: Alle Mann an Bord!
. . . Wir haben Angst vor der eignen Courage
bekommen. Allenthalben. Man ist schlaff ge-
worden. Überzeugungskraft und Mut der Kon-
sequenz sind im Kurse gesunken. Statt der
Parole, unserem Leben Halt und Inhalt zu geben,
ist eine andere aufgetaucht: zu genießen. Nicht
in dem tieferen Sinne, der eine Bereicherung und
Steigerung menschlichen Erdewallens begreift,
sondern in dem des Goetheschen »Genießen
macht gemein«. Seien wir ehrlich und packen
wir den Stier bei den Hörnern. Ein vorzüg-
licher Gradmesser des geistigen Klimas der All-
gemeinheit: das Theaterwesen, zeigt mit er-
schreckender Deutlichkeit auf die gleiche baro-
metrische Depression. Der Verzweiflungskampf
aller Bühnen, die feineren und größeren Interessen
dienen möchten, gegen Sensationslust, flache

1913. XII. 1.
 
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