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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 41.1925-1926

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Uhde-Bernays, Hermann: Wiedergefundene Werke aus Feuerbachs Pariser Studienzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14161#0143

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WIEDER GEFUNDENE WERKE AUS FEUERRACHS PARISER STUDIENZEIT

Das Werk Anselm Feuerbachs ist uns in der
für die richtige Erkenntnis der Größe
seiner künstlerischen Persönlichkeit wesentli-
chen Bedeutung bekannt. Nicht in gleichmäßi-
gem Wachstum der Vollendung entgegenge-
reift, von vielfachen Wendungen und Wand-
lungen abhängig, in seinem entwicklungsge-
schichtlichen Verlaufe häufig durch ein eigen-
tümliches überraschendes, sogar beunruhigen-
des Hinundherschwanken des inneren Gleich-
gewichtes gefährdet, hat es von jeher, auch weil
man bei seiner späten Anerkennung die mensch-
lichen Bedingungen solchen Schaffens allzusehr
zu belrachleu geneigt war, zur willkürlichen
Aufstellung subjektiver Probleme gedient. Doch
haben die reichen historischen Quellen, das
„Vermächtnis" und die „Briefe an die Mutter",
größere Unternehmungen mit jenen gegenwär-
tig beliebten, aber höchst bedenklichen literari-
schen Psychoanalysen von Feuerbachs zu der-
artigen Angriffen vorzüglich geeignetem Wesen
bisher ferngehalten. Wo Lücken der Lebens-
beschreibung mit verlorenem und vermißtem
Gut an Gemälden und Zeichnungen zusammen-
trafen, blieb auch den nach zwei Seiten hin ab-
gesperrten Einlühlungswünschen keine Mög-
lichkeit einer Orientierung. So ist es gekommen,
daß Feuerbachs zweite Lebenshälfle, klar und
frei vor den Augen der Nachwelt, in der Son-
derheit und Eigenart der schöpferischen Tat zu-
meist für sich allein, ohne Zusammenhang mit
früheren Ereignissen und Einwirkungen über-
schaut wird, daß die ausschließliche Formulie-
rung seines Anspruches auf Unsterblichkeit stets
aus seinen römischen Arbeilen begründet er-
scheint. Ausnahmsweise nur ist die Bemühung
darauf gerichtet, mehr von der Widerspruchs-
freude des ästhetischen Snobismus als von ge-
sicherter Witterung veranlaßt, die sehr beschei-
dene Reihe der erhaltenen Bilder Feuerbachs
aus seiner Pariser Studienzeit kritisch nachzu-
prüfen, mit dem erwünschten Resultat, ihre Ab-
hängigkeit von französischer Lehre erwiesen zu
haben. Ein inneres Verhältnis selbst zu dem
„Hafis in der Schenke" oder dem „Tod des
Pietro Arelino" zu finden wird auch dem treue-
sten Verehrer der Feuerbachschen Kunst nicht
leicht fallen. Erst wenn es der Erinnerung ge-
lingt, die hoheitsvolle Strenge und die rhyth-

mische Gebundenheit auszuschalten, die uns als
die charakterisierenden Grundformen des Feuer-
bachschen Stils bewußt sind, erst dann mag der
improvisierte malerisch-dekorative Reiz rein
empfunden werden, der sich aus den Jugend-
werken des Künstlers mit lebendiger Anmut
emporschwingt. Sind einmal die natürlichen
^ orzüge ihrer Malerei naiv und befreit von
literarischer Auslegung erfaßt, so wird sich, an-
ziehend genug, der bewunderten Gestalt des
reifen Meisters die liebenswürdige Erscheinung
des inbrünstig die Weihen der schöpferischen
Erkenntnis erflehenden Jünglings gegenüber-
stellen, dem deutenden Seher der verlangende
Adorant. Und ein gefälliger Mythos, die über-
lieferten Geschehnisse milde verklärend, nun-
mehr die Innigkeit der menschlichen Beziehung
erwecken.

Es ist daher nicht nur Aufgabe der sachlichen
Statistik, die von der Nachricht der Auffindung
eines Teiies der verlorenen Bilder und Zeich-
nungen Feuerbachs aus der Zeit seines Pariser
AufenthaltesKenntnisgenommenhat,einen küh-
len Bericht zu erstatten. Es ist vielmehr Pllicht
freudiger Dankbarkeit, diese Wiedergewinnung
der Entdeckung eines kostbaren Schatzes gleich
zu achten, und bei der Veröffentlichung darauf
hinzuweisen, daß erst nach einem fast zwanzig-
jährigen, durch die Jahre des Krieges unter-
brochenen Nachforschen und Ersuchen sich die
wohlgehütele Pforte geöffnet hat, welche Feuer-
bachs Pariser Nachlaß abschloß. Die Plolfnung,
auch den letzten Rest zu erhallen, hat sich einst-
weilen nicht erfüllt. Immer noch fehlen wichtige
Arbeilen, immernoch entbehren wireine Mappe
mit Entwürfen, deren Vorhandensein festgestellt
ist Aber die nun in Feuerbachs Werk einzu-
fügenden zwanzig Bilder und Studien und die
annähernd ein halbes Hundert betragenden
Zeichnungen ergänzen gleichwohl, was wir schon
besaßen, in einer außerordentlich eindrucksvol-
len Stärke. Feuerbachs Verbindung mit Thomas
Couture vor allem wird in einer auffallenden,
lange gehegte Vermutungen bestätigenden Weise
deutlich. Mit mächtig ausgreifenden Schwingen
hat sich der Schüler über die atelicrbegrenzte
Al mosphäre des Lehrers em porgehoben, der ihm
vergeblich zu folgen versuchte.
Feuerbachs Pariser Studienzeit, durch Reisen

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