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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 41.1925-1926

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Olschki, Elvira: Erinnerungen an Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.14161#0275

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ERINNERUNGEN AN CORINTH

Nur zögernd, aus einem Gefühl der Verant-
wortung und Ehrfurcht heraus, entschließt
man sich, das Eigentum persönlicher Erinnerung
an einen erst jüngst Verstorbenen preiszugehen.
Wenn sich jedoch Erlebnisse an eine Persönlich-
keit knüpfen, die. weit überragend, einem ganzen
Lande als stolze Äußerung eines geistigen Höhe-
punktes gehört, so muß diese Scheu der Einsicht
weichen, daß selbst die kleinste Mitteilung, so
schlicht und anscheinend alltäglich sie auch an-
mutet, immer dazu beiträgt, das Bild und das
innere Wesen einer solchen Persönlichkeit zu
beleuchten.

Im August 1922 durfte ich die „Ernte", wie
Corintb seine Sommerproduktion am Walchen-
see nannte, im Atelier in der Klopstockstraße
bewundern. Munter gelaunt, mit befriedigtem
Kopfnicken, die rätselhaft ergreifenden Augen
kindlich leuchtend, der linke Mundwinkel zu
einem halb ironisch halb heiteren Lächeln herun-
tergezogen, so stand er, stämmig und hilflos
zugleich, vor mir, den Ausdruck meinerBegeiste-
rung mit der Wendung entgegennehmend: „Ja,
ja, Signora, ik bin en Aas uf de Baßjeige!"
Welch eine Fülle kostbaren Materials barg der
gelbe Zeichnungsschrank in seinem Atelier —
ein schlicht gezimmerter gelber Kasten!
Viele Stunden sichtete und wählte ich für eine
geplante Ausstellung. Gorinth saß inzwischen
an der Staffelei und arbeitete oder plauderte mit
mir. Plaudern ist für die Art seiner Unterhal-
tung nicht die richtige Bezeichnung. Er war
weder redegewandt, noch fiel es ihm leicht, die
Gedanken in flüssiger Sprache zu formen. Oft
mußte man aus den herausgestoßenen Worten
ihren eigentlichen Sinn erraten. Darin ist wohl
der Grund vieler, sicher unbeabsichtigter Miß-
verständnisse oder gar Beleidigungen zu suchen,
die nicht selten zu einer falschen Beurteilung
seines Wesens führten. Die Schriften des Künst-
lers können ihn uns nicht vergegenwärtigen. Die
fließenden ungehemmten Sätze haben mit seiner
Persönlichkeit, wie sie einem im Leben entgegen-
trat, nicht viel zu tun. So sprach er niemals.
Nur zögernd und ruckweise kamen Eindrücke
und Ansichten aus seinem Munde, meist das
Gesagte mit einem „Aber ich weiß nicht" ab-
schließend. Was er an Wissen in sich barg, war
erstaunlich und ungeahnt. Eine einzige Bemer-

kung konnte die Unmittelbarkeit seiner Auffas-
sung und Einstellung beleuchten, die Eigenart
seines Y\ esens und Intellekts offenbaren.
Es ergab sich öfters, daß Corinth aus seinem
Atelier direkt an Museumsdirektoren, Privat-
leute oder Händler Bilder abgab. Fassungslos
allen Dingen des praktischen Lebens gegenüber
hatte er doch den Ehrgeiz, auch diese „geschäft-
lichen Dinge" selbst zu erledigen. Die ihm eigene
Verbindung von Genie und Pflichtmensch führte
zu einem drolligen Ordnungssinn, den er selbst
völlig ernst nahm. Mit äußerster Peinlichkeil
wurden auf einem irgendwo herumliegenden
oder rasch aus dem Papierkorb gegriffenen Bo-
gen Notizen über Verkäufe. Bestzahlungen. Dol-
larkurs aufnotiert, unterschrieben und ... meist
verlegt, so daß es Mühe und Kampf kostete,
die wichtigen Dokumente wiederzufinden. Stets
wurde diese glückliche Y\ endung mit dem ironi-
schen Selbstlob begleitet: „Ja, ja, ich bin doch
ein ordentlicher Mensch!"

Seine Liebe zu Tieren kam in unzähligen Zeich-
nungen zum Ausdruck. Sie sind alle heiter und
humorvoll dargestellt, unsentimental und zärt-
lich zugleich. Rehe in ihrer zarten Zerbrech-
lichkeit, Hunde, Katzen, \ögel jeder Art und
Größe bunt durcheinander. Vor allen regte ihn
immer wieder der Stier an, für ihn das Symbol
der Lrkraft.

Alle neuen, alle eigenartigen Situationen hatten
für Corinth einen ganz besonderen Reiz. Um
auszukosten „wie es eigentlich sein würde",
machte er Dinge, die seinem Wesen fremd, ja
ihm beschwerlich waren. So reizte es ihn, Reden
zu halten, obwohl er von Natur aus schweigsam
und abgekehrt war. Dieser Gegensatz zwischen
der eigentümlichen seelischen Zurückgezogen-
heit und Wortkargheit und andererseits dem
Wunsch, das Leben von allen Seiten kennen
zu lernen — ein W esenszug, der bei Corinth
der instinktiven Neugier des Kindes ähnelte —
ist ihm bis ins Alter hinein erhallen geblieben.
Aus früher Zeit erzählte er, wie er, der scheue,
schwer aus sich herausgehende junge Maler, den
Gedanken faßte,Menzel zu porträtieren und so-
fort zur Ausführung schritt. Mit einer Empfeh-
lung von Meyerheim bewaffnet, trat er den nicht
leichten Gang an. Das Unheil begann, als er an
einer Tür schellte, an der er Menzels Namen er-

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