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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 41.1925-1926

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Rodin, Auguste: Auguste Rodin - Skulptur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14161#0200

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ALFRED PARTIKEL

Sammlung "Weber, Berlin

STILLEBEN

AUGUSTE RODIN: SKULPTUR*)

Zeichnung von allen Seiten, das ist die Be-
schwörungsformel der Skulptur, die den Geist in
den Stein hinabsteigen läßt. Das Ergebnis ist
wunderbar: diese Methode läßt zugleich mit allen
Profilen des Körpers die der Seele entstehen.
Wer von diesem System gekostet hat, hat nichts
mehr gemein mit den andern.
Zeichnung, diese mystische Konspiration der Li-
nien, die nach Leben jagen.

Dies alles war bekannt. Es ist unser Teil, wie es
der Teil der Alten war, der Gotiker, der Renais-
sancemeister. Und es kehrt aufs neue zurück.
Realität der Seele kann in einen Stein eingeschlos-
sen, kann für die Jahrhunderte aufbewahrt wer-
den! Unsere eigene heiße Leidenschaft, zu be-
sitzen, zu unterjochen, zu verewigen, — sie über-
tragen wir auf diese Augen, auf diesen Mund, der
leben und reden will.

Warum verstehen wir die Geographie unseres
eigenen Körpers nicht?

Diese Brust wird von Xeigungsflächen vorbereitet,
die sich in einiger Entfernung unmerklich wöl-
ben. Alles stützt sich auf Hauptformen, die ihre
Linien untereinander austauschen, die eine aus
der andern gewebt sind. Ein wahres Konzert von
Formen.

*) Aus „Künstlerbekenntnisse4*. Briefe, Tagebuchblätter, Be-
trachtungen heutiger Künstler, herausgegeben von P. West-
heim (Propyläen-Verlag, Berlin).

Hier beobachtet die Seele ihr Zusammenstimmen,
ihreEinheit, wägt sie gegeneinander ab. DieTeile
hängen mehr, als wir glauben, miteinander zu-
sammen. Nur wir haben vermöge unseres Ver-
standes alles zerteilt, können es aber nicht rekon-
struieren.

Diese Urform des Intellekts, diese Synthese ist nur
wenigenMenschen gegeben. Wernichtvon selbst
auf sie gekommen ist, versteht sie nicht recht.
Man lehrt uns die Dinge, als ob sie zerteilt wären,
und der Mensch läßt sie zerteilt. Wenige gibt es,
die sich geduldig Mühe nehmen, die Dinge wie-
der zu vereinen.

Das Geheimnis einer guten Zeichnung liegt im
Sinn ihrer Zusammenstimmungen: die Dinge
stürzen aufeinander los, durchdringen einander
und hellen einander gegenseitig auf. — So ist das
Leben.

Der Bildhauer gibt eine sukzessive Beschreibung
der Dinge, ohne den Sinn für ihre Einheit zu ver-
lieren.

Nurkeine Nähte! Die Zeichnung mußausschauen
wie auf einen Hieb gemacht.
Man darf nicht vergessen, daß der Stil einer Zeich-
nung, das ist: ihre Einheit, nur durch das Studium
erzielt werden kann und nicht durch eine Art
idealer Inspiration. Mit einem Wort: es ist die
Geduld, die das Wesen der Skulptur ausmacht.
Grazie, die niederstürzt und alles anfüllt mit ilfren

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