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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 41.1925-1926

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Nasse, Hermann: Tintoretto und Greco
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https://doi.org/10.11588/diglit.14161#0202

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TINTORETTO UND GRECO

Nicht um neue Forschungsergebnisse handelt
es sich, wenn hier die Namen dieser Mei-
ster nebeneinander erscheinen. Es soll lediglich
versucht werden, einige der wichtigsten Kunst-
schöpfungen des alten Tintoretto mit solchen
der Toledaner Zeit Grecos in Parallele zu
setzen. Auf derartige Weise mit einander in
nähere Beziehung gebracht, dürfte Greco in
einem bestimmten Sinne als der eigentliche
V ollender künstlerischer Ziele erscheinen, die
Tintoretto erst in den letzten Jahrzehnten seines
Schaffens aufgriff. Denn Greco scheint uns
den sogenannten Manierismus zum Zeitstil zu
erheben und zugleich den in den letzten Ge-
mälden Tintorettos deutlich schon anklingenden
Barock zur reifsten Ausformung zu bringen.
Umgekehrt führte aber auch Tintoretto sein
Weg aus dem Höhepunkt der venezianischen
Klassik, die ihm Tizian vermittelte, zunächst
zum Manierismus, den ihm Schiavone, der ja
den Parmigianino in Venedig bekannt machte,
veranschaubchte. Wenn Vasari den Greco
gekannt hätte, er hätte dem Greco und nicht
Tintoretto jenen Vorwurf gemacht, „seltsam
launenhaft" und der „gewaltsamste" Geist zu
sein, den je die Malerei besessen habe. Auch
hätte Vasari mit weit mehr Berechtigung von
Greco sagen dürfen, er habe „zuletzt den Weg
der Routine beschritten".

Wir erblicken ohne jeden Vorbehalt in Tinto-
retto den größeren Meister. Daß man sich im
übrigen vor Fehlschlüssen hüten muß, wenn
man den Spanier neben den Venezianer zu
stellen wagt, ist selbstverständlich. Beide aber
möchten wir für den hier in Frage kommenden
Zeitraum als charakteristische Vertreter eines
Übergangsstiles ansprechen, der mit Schlag-
worten wie „Manierismus" und „expressioni-
stischem Barock" nicht auszudeuten ist.
Von der Zeichnung und der sinnlichen Kraft
der Farbe geht Tintoretto aus. Sie dienen ihm
zur Darstellung der Bewegung und des Rau-
mes. Flackern doch schon in frühen Gemälden
Tizians Glanz- und Reflexlichter auf, um in
den späten Werken völlige Herrschaft zu er-
langen. Auch kommt es zu stärkerer Zerlegung
und Nuancierung der Farben, die immer tiefer
und leuchtender werden. Stets jedoch bleibt

der streng tektonische Aufbau der Bildform
noch gewahrt; Bewegung kommt nur in die
immer pastosere „farbige Haut". Es beginnen
die stärkeren Achsenverschiebungen, die Schräg-
bewegungen, und die Hell-Dunkel-Kontrasle.
— Hier setzt Tintoretto ein. Er betont sofort
die Schrägführung der Hauptlinien, die in Pa-
rallelen wiederholt wird und die völlige Bild-
durchlöcherung. Aber die Raumbegrenzungen
bleiben noch gewahrt. Der Bewegung wird
durch Gegenakzente Einhalt getan. Doch wer-
den die Verkürzungen schroffer und die L ber-
schneidungen häufiger. Das Licht erhält eine
immer wichtigere Rolle. Im farbigen Hell-
dunkel sucht die Lichtbahn die Raumgliede-
rung zu regeln. Die Absicht geht auf Vergei-
stigung, auf Transzendenz. Es geht um Seelen-
dramatik. Die Farben leuchten und zucken,
oft geisterhaft, aus tiefsten Dunkelheiten in
lodernder Glut, sind als feine funkelnde Juwelen
in dunklen Samt gebettet. Glitzernde Licht-
linien von besonderer geistiger Kraft heben
die charakteristischsten Bewegungsvorgänge und
-Stellungen aus den schwarz-braunen Tiefen
heraus, setzen die Figuren, gleichsam von
innen heraus in Bewegung. Lichtaureolen
umflimmern Köpfe und Hände. Die Form
wird verunklärt, um die Seelen und die Nerven
bloßzulegen. —

Ergreifend sprechen die Silhouetten von seeli-
schen Erschütterungen in der „Taufe Christi",
wo ein unter der Wucht der symbolischen
Flandlung erschauernder Heiland selber Sym-
bol seines kommenden Opfertodes wird. Alles
verschwimmt im All und taucht in ihm unter.
Alles wird geheimnisvoll unter den gleitenden
Himmels- und Erdenschatten.
Mit unerhörter Gewalt rauscht der Sturm der
Erregung und Bewegung auf in der „Himmel-
fahrt Christi". Nicht vom Berge aus, sondern
aus der Tiefe eines Tales schwebt der Ver-
klärte nach oben. Motive aus dem Gang nach
Emmaus und aus der Himmelfahrt Mariens
werden miteinander verwoben. Aber aller Auf-
wärtsbewegung der in schon barocken Kurven
sich emporschraubenden Wolkenballen stemmt
sich die in die linke Bildecke breit gelagerte
Gestalt des Apostels Johannes entgegen. Le-

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