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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 41.1925-1926

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Günther, Hans: Johannes Schiffner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14161#0249

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JOHANNES SCHIFFNER

au könnte Schiffners Kunst, die sicli weder
mit Göttern, noch mit Propheten, noch
mit Heiligen befaßt, dennoch religiös nennen.
Freilich die Religiosität der ^ ergangenheit ist
ihr ein fremdes Land. Diese Religiosität, die in
die Mitte des Seins den Menschen stellt. Bei den
Hellenen den glücklichen Mensehen aus den
gebietenden Volksschichten, der in unbeküm-
merter Lust darauf bedacht war, seinen herr-
lichen, gesunden Körper zu genießen. Jedes
Bildwerk, das sie hinterlassen haben, zeugt laut
von der Wonne des Daseins oder von dem
Schmerz, es hingeben zu müssen. Nach ihnen
rückten die Unterdrückten in die Führung ein.
In der christlichen Kunst liebt man es, die Lust
am Dasein zu leugnen. Aber so groß der Unter-
schied auch ist — der Mensch steht im Mittel-
punkt auch der christlichen Welt. Daher haben
die Märtyrer und Heiligen diese sieghafte Ge-
wißheit, die ihre Leiden zum Bachanal oder zur
Quelle stiller Lust umzufärben scheint. Wir
haben uns seitdem sehr gewandelt. Der Mensch
hat seinen Thron verlassen. Wir können an
unsere W ichtigkeit in der W elt nicht mehr
glauben. Wir ahnen mehr von der Größe der
Schöpfung als irgendeine frühere Zeit. Gott
hat sich uns gewaltiger offenbart als unseren
Vorvätern; aber in einem kühleren Lichte. Und
wir sind klein geworden. Das ist die Religiosität
unserer Tage. Lnd auch ihr Spiegel ist die Kunst.
Gerade das ist das Bezaubernde an den Schiffner-
schen Bildwerken, daß der Hauch des modernen
Geistes ihnen so rein von den Lippen strömt.
Seine Menschen sind sehr jung. In dem Alter,
da die Menschen zum Bewußtsein ihres Lebens
erwachen. Sie stehen in den Jahren, in denen
so viele bunte Schleier zerreißen, in den Tagen,
an denen der Mensch zum erstenmal vor dem
Leben erschrickt.

Alle diese jugendlichen Menschen stehen still
und versunken da, einige bewegt durch den
inneren Aufruhr, andere unbewegt. Alle leiden
sie unter der Last des Seins, ernst und voll tie-
fen Gefühls. Es gibt da keine genrehaften Mo-
tive, keine Sandalenbinder, keine Badenden,
keine Ringer. Sie stehen da, unter der Last
eines drückenden Schicksals, aus dem es für die

Lebenden kein Entrinnen gibt. L nd doch immer
neue Wandlungen, vom Verzweifelnden, vom
Verzagenden bis zu dem Wehmütigen, ja bis
zu dem Verbitterten. Das Gefühl fließt durch
alle diese Gestallen so lebendig, daß es ganz
von ihnen Besitz genommen hat. Niemals eine
leere Phrase, niemals eine schöne Geste um
ihrer Schönheit willen. Aber gerade diese Wahr-
haftigkeit macht ihre Schönheit aus. Dabei
kommt die flache Behandlung dem starken Aus-
druck sehr zu statten. Auch die handwerkliche
Sauberkeit, die kein Mißbehagen aufkommen
läßt, von einem Steckenbleiben im Gewollten
kann nirgends die Rede sein. Eine vollkommene
Beherrschung des Handwerklichen und ein
männlicher Ernst verbieten alle kläglichen Ver-
suche.

Die gleichen Vorteile eines überaus sicheren
Auges und einer geschickten Hand voll Takt
und Feingefühl kommen dem Künstler auch
auf dem anderen Gebiete zustatten, das er pflegt:
Das ist die Tierplastik.

Es sind durchweg kleine, aber unübertrefflich
schöne Dinge von außerordentlichem inneren
Leben und einer seltenen Wohlabgewogenheit.
Kann man denn von Großartigkeit reden, wo
es sich mit wenigen Ausnahmen nur um Bild-
werke von halber und noch weit geringerer
Lebensgröße handelt? Möge sich jeder diese
Frage selbst beantworten. Die Schiffnersche
Kunst verträgt räumliche Größe, das ist gewiß.
Die Größe der Gesinnung, die Ausgeglichenheit
der Formen dürften in großen Abmessungen
einherschreiten; es stände ihnen besser an als
vielen Bildwerken mit einfachen Bewegungs-
motiven. Aber sie bedürfen der äußeren Größe
nicht notwendig. Sie haben kein Palhos, und
es darf wohl vermutet werden, daß sie in ihrer
Anspruchslosigkeit zu einer breiteren Menge
nicht sprechen würden. Es ist eine Kunst, die
für die Stille geschaffen ist, für die Feierstunden
derer, welche keine Symbole im landläufigen
Sinne des YS ort es heben. Darum mögen seine
W erke gern im stillen Räume stehen und den
Emplindungen Einzelner Form und Sinnbild
sein. Sie sind Zeugen der Kunst unserer Tage.

Hans Günther

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