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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 1
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Scheffler, Karl: Hans Purrmann: und der moderne Kolorismus
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HANS PURRMANN, BLUMEN UND FRÜCHTE

als einen nur dienenden Rang anzuweisen. Man
denke an Veronese und Tintoretto, an Velazquez
und Green, an Rubens oder, vor allem, an Frans
Hals, wie er sich in Haarlem darstellt, und man
wird erkennen, wie große Meister sich bemüht
haben, auch mit der Farbe unmittelbar Leben und
und Bewegung auszudrücken, ihr das Starre, Unbe-
wegliche zu nehmen und flüssig farbig zu malen. Über
einen gewissen Punkt sind sie alle aber nicht hinaus-
gelangt, konnten sie nicht hinauslangen, weil
erst eine neue Sehform aufkommen mußte, der
die Farbe ein ebenso lebendiges Ausdrucksmittel
ist, wie es die Zeichnung für die alten Meister
gewesen ist. Mit Recht berufen sich moderne
Koloristen auf Rubens als auf einen Vorgänger,
und es ist sehr bezeichnend, daß Purrmann, zum
Beispiel, ein Bild von Rubens in freier Weise, nur
die Farbenorganisation betonend, kopiert hat, als
er sich bewußt dem Kolorismus zuwandte;* mit
Recht verweisen sie auch auf Delacroix, der für
sich selbst das Gesetz der Komplementärwirkung im
Licht und Schatten und das Gesetz der farbigen Re-

* Siehe den Aufsatz von Aug. L. Mayer „Moderne Meister-
kopien" und die Abbildung ebenda. K. u. K. Jahrgang XV.
Seite 515 ff.

flexe entdeckt und mit starkem Gestaltungsvermögen
künstlerisch angewandt hat, der Goethes vom Auge
„geforderte Farbe" gesehen und sich systematisch
einen „Chronometer" angefertigt hat, um das Gesetz
der Komplementärwirkung stets vor Augen zu
haben. Dennoch hat weder jener noch dieser
eine Revolution des Sehens hervorgerufen. Beide
gehen im wesentlichen noch von der Zeichnung
und vom Hell und Dunkel aus, wenngleich einige
ihrer Bilder schon nicht mehr ohne die Farbe ge-
dacht werden können. Die Entdeckungen blieben
bei ihnen, wie bei Frans Hals, der bereits in far-
bigen Flecken malte, ohne Folge.

Sogar ein Maler wie Corot, der der neuen
Kunst doch sehr nahe steht und den man paradox
einen Koloristen in Grau nennen könnte, hat pro-
grammatisch noch diese Sätze verkündet: „Zwei
Dinge müssen zuerst studiert werden: die Form
und darauf die Valeurs. Diese beiden Dinge sind
für mich die wichtigsten Stützpunkte in der Kunst.
Farbe und Technik geben dem Werke sodann den
Reiz. Es erschien mir sehr wichtig, eine Studie
oder ein Bild damit anzufangen, daß ich die dunkel-
sten Töne (vorausgesetzt, daß die Leinwand weiß
ist) angab und so der Reihe nach fortfuhr bis
zum hellsten Ton. Ich möchte von dem dunkel-
sten bis zum hellsten Ton zwanzig Nummern auf-
stellen. So wird unsere Studie oder unser Bild
ordnungsmäßig aufgebaut sein. Diese Ordnung
darf natürlich weder den Zeichner noch den Kolo-
risten beengen. Achtet stets auf die Masse, die
Gesamtwirkung, auf das, was euch zuerst auifiel!
Verliert niemals euren ersten lebendigen Eindruck.
Also erst die Zeichnung suchen, darauf die Valeurs,
die Beziehungen zwischen Form und Valeurs. Das
sind die Stützpunkte. Sodann die Farbe und
schließlich die Technik."

Zu einem selbständigen Ausdrucksmittel ist die
Farbe von jenen Malern erhoben worden, die
man Impressionisten nennt. Es ist nicht auf grund
verstandesgemäßer Überlegungen geschehen, sondern
gefühlsmäßig; es war eine neue Sehform, die die
Farbe in ihr Recht eingesetzt hat, ein vollgültiges
Ausdrucksmittel zu sein, ein Mittel, um atmendes
Leben wiederzugeben. Es ist der Wille zur Dar-
stellung des Bewegten, der die Farbe entdeckt und
der geschaffen hat, was man Kolorismus nennt. Denn
von Kolorismus darf man nur sprechen, wo die
Farbe unbedingt nötig, wo sie ein unentbehrliches

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