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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Waldmann, Emil: Rudolf Grossmanns neue Radierungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0042

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RUDOLF GROSSMANN, STUDIEN. RADIERUNG

wenn auch beinahe verschüttete Tradition. Der
noch enge Anschluß an die Natur, die Pflege einer
feinen, beweglichen und atmosphärischen Malerei,
die Lebendigkeit des koloristischen Ausdrucks,
Dinge, auf welche unter den Neueren besonders
Heckel und Kirchner letzthin auch wieder zurück-
kommen, machten diese Bilder so sympathisch.

Großmann ist ein Talent, das in sehr vielen
Lichtbrechungen schillert und dabei doch immer
durchaus persönlich wirkt. Auch in der Graphik.
Man sagt nicht zuviel, wenn man ihn einen ge-
borenen Zeichner, einen geborenen Radierer nennt.
Die Kupferplatte und die kalte Nadel, der Diamant,
sind seine Ausdrucksmittel von Haus aus. Denn es
steckt in ihm etwas von der Art jener Zeichner, die
mit der reinen abstrakten Linie ein Stück Weltbild
und ein Stück Gefühl einfangen können, wie Ober-
länder bisweilen, aber auch manchmal ein wenig
wie Toulouse-Lautrec. Das heißt: scharf beobach-
tend, eisig reflektierend, ironisch, oft grotesk.

Sein Temperament ist stark, aber sehr kühl, fast,
wenn das Wort erlaubt ist und nicht wie Herab-
setzung wirkt, „kalt gekocht"; und seine Sentimen-

talität, die im Untergrunde einen romantischen Zug
nicht verleugnet, wirkt vollkommen ungerührt und
höhnisch. Er verliebt sich in das Leben und schämt
sich dessen, wird eher zynisch als daß er ein weiches
Gefühl äußerte. Wenn er naiv die Erscheinungen
niederschreibt, die ihn interessieren, das moderne
Leben in all seinen Formen, tut er es auf eine
höchst raffinierte, skeptische, bis zur Persiflage und
Selbstpersiflage bewußte Manier; Bewußtheit, ge-
mildert durch Geschmack.

Auf solcher Basis wächst das Groteske und
Großmanns Kaltnadelarbeiten, besonders die aus
den letzten Jahren, frappieren zunächst durch ihren
grotesken Zug. Was er beobachtet von kleinen
Szenen aus dem Leben, von der Straße und vom
Pferdemarkt, im Cafe und im Tanzlokal, im Salon
und im Boudoir, am Spieltisch und im Variete, im
Bett und in der Heilsarmee, was er festnagelt und
aufspießt an charakteristischer Gebärde, an zu-
gespitzter Situation, an bohrend Physiognomischem,
das alles hat im ersten Augenblick tatsächlich etwas
lächerlich Zappelndes und unheimlieh Entstelltes;
und wer aus irgend einem Grunde Ursache fühlt,

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