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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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MAX KLINGER, BILDNIS DES HERRN DR. MEIER

. AUSGESTELLT IN DER BREMER KUNSTHALLE

tor fruchtbare Gedanken der letzten Dezennien in einer be-
törenden Anthologie gemischt hat, die weniger wissenschaft-
liche als belletristische Bedeutung hat. Der Untergang des
Abendlandes wurde mit Recht schon einmal ein Roman genannt.
Als Kulturepos hat das Buch einen gewissen Wert. Wenn
aber die wissenschaftliche Jugend das Buch als die Bibel
unserer Zeit ansehen will, so gräbt sie sich damit ihr eigenes
Grab; denn außer allgemeinen, gefühlsmäßigen Anregungen
kann der Historiker dem Buche nichts entnehmen, da nicht
ein einziger Gedanke von Spengler zu Ende gedacht worden ist.

Spengler baut die Entwicklungsgeschichte der bildenden
Künste auf der zeitgemäßen Antithese des Apollinischen und
Faustischen auf. Mit der Logik eines Monomanen gliedert
er die ganze Kunstentwicklung in diese beiden Gruppen_
Wie in anderen Teilen des Buches steht auch in den Ab-
schnitten, in denen die bildenden Künste vorherrschen, Rich-
tiges neben Falschem, wird auf diese oder jene Entwicklungs-
phase ein kluges und scharfes Streiflicht geworfen, wird
aber ebenso oft der Theorie zu Liebe Absurdes behauptet
und Tatsächliches entstellt oder unterdrückt. Eine er-
schöpfende Kritik von^Spenglers Darstellung der Kunstent-
wicklung müßte bei dem Charakter des ganzen Buches sich
nicht nur mit den allgemeinen Thesen, sondern auch mit

der Durchführung der einzelnen Thesen befassen
und würde dadurch den Umfang einer Gegen-
schrift annehmen. Das beabsichtige ich nicht. Es
scheint aber notwendig, an dieser Stelle einmal
durch einige Stichproben die Bewunderer Spenglers
zu einer bedächtigeren Lektüre des Unterganges
des Abendlandes anzuregen. Mit den Verehrern
Spenglers stimme ich darin überein, daß das Buch
auch kunsthistorisch eine Fülle reicher — aber zu-
sammenhangloser — Anregungen, zündender Analo-
gien, stimulierender Gedanken umschließt. Schon
die Gleichsetzung der spätrömischen Verfallsepoche
mit unserem Zeitalter hat, wenn auch nichts neues,
so doch etwas Bestechendes. Man denke nur an
das Colosseum und Poelzigs Schaubühne und die
Form auflösenden Tendenzen in der Kunst beider
Kpochen. Im Großen stimmt man Spengler oft zu.
Im Einzelnen versagt seine Methode, seine wissen-
schaftliche Gewissenhaftigkeit und seine Tatsachen-
kenntnis. Das aber gibt gerade dem Historiker die
Berechtigung zu einer scharfen Ablehnung seines
ganzen Konstruktionsgebäudes. Abschnitt 14 des
vierten Kapitels Musik und Plastik beginnt sehr
schön: „Die Renaissance war aus dem Trotz ge-
boren". Weiter heißt es: ,,Es fehlt ihr darum an
Tiefe, Umfang und Sicherheit der (man höre und
staune) formbildenden Instinkte". Abgesehen von
dem historischen Unsinn, liegt in dem „Darum"
eine Unsauberkeit des Denkens. Mangel formbilden-
der Instinkte als stete Folge des Trotzes im Sinne
einer Gegenbewegung ist eine Vorstellung, die von
der Geschichte der Kunst selbst widerlegt wird.
Weiter: „Sie (die Renaissance) ist die einzige Epoche,
die einer theoretischen Unterstützung bedurfte".
Das ist tendenziöse Entstellung. Die Scholastik des
Mittelalters, die Theoretik der französischen Akade-
mie sind Beispiele für das Gegenteil. Weiter: „Sie war auch,
sehr im Gegensatz zu Gotik und Barock, die einzige, wo das
theoretisch geformte Wollen dem Können voranging (??) und
es oft überragte". Nun folgt ein neuer unklarer Gedanke,
der wieder nicht durchgedacht ist und obendrein allen Tat-
sachen widerspricht. „Aber die erzwungene (?) Gruppierung
der einzelnen Künste um eine antikisierende Plastik konnte
diese Künste in den letzten Wurzeln ihres Wesens nicht um-
wandeln." Einige Zeilen weiter heißt es: „Die Renaissance-
kunst kennt keine Probleme". Man errät, was Spengler
meint: der Renaissancekunst fehlt der faustische Tiefen-
drang. So aber, wie der Satz dasteht, ist er Unsinn. Un-
geheuerlicher aber ist der nächste Satz: „Für Menschen von
der Innerlichkeit Memlings und der Gewalt Grünewalds,
die im Bereich dieser toskanischen Formenwelt geboren
wurden (!!!), mußte sie zum Verhängnis werden". Auch
hier liegt ein an sich brauchbarer Gedanke zugrunde, der
aber in dieser feuilletonistischen Darbietung als Fälschung
der historischen Entwicklung wirken muß.

Als Beweis der unseligen Folgen solcher Sätze in un-
reifen Gehirnen führe ich die Äußerung eines von Spengler
berauschten Studenten an: „Toskana sei Grünewalds Ver-
hängnis geworden". Weiter im Spengler: „Aber im Goti-

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