SIE VERSTEHT IHRE ZEIT
Matisse quälte sich einst mit einer Schülerin, einer Russin,
er suchte in ihre Auffassung der Natur einzudringen, mußte
es aber aufgeben und fragte endlich verzweifelt, was
sie denn eigentlich in der Natur suche. Die Russin ant-
wortete: ,,Je cherche le neuf".
ANDERS HERUM
In den neunziger Jahren, als Lesser Ury von einer Partei
von Kunstpolitikern gegen Liebermann ausgespielt wurde,
war die Legende verbreitet, Ury habe in Liebermanns Bilder
viel hineingemalt und diesem erst gezeigt, wie's gemacht
wird. Als dieses Liebennann hinterbracht wurde, sagte er:
„Wissen Sie, ob Lesser Ury behauptet, er hätte meine Bilder
gemalt, ist mir egal; aber wenn er behaupten sollte, ich
hätte in seine Bilder hineingemalt: dann verklag ich ihn".
IM CAFE DU DOME
war ein Streit über ein Bild von Matisse entstanden,
das die Musik darstellte. Der Maler X. ereiferte sich furcht-
bar und fand vor allem die Figur, die eine Geige hält,
lächerlich. Es sei unmöglich, eine Geige so zu halten. Er
sagte zu Levi: „Haben Sie einmal eine Photographie von
Joachim gesehen, wie schön der die Geige hält?" „Ja,
schön", antwortete Levi, „haben Sie aber schon einmal
eine Photographie von dem Generalfeldmarschall Moltke
gesehen, wie der schön den Mund hält?"
UNANGENEHME EMPFINDUNG
Der Maler Bernhard Plockhorst war öfter von der alten
Kaiserin Augusta zu Gast geladen. Als er eines Abends
vom Hofsouper heimkam, sagte er zu seiner Frau: „Ich weiß
gar nicht, mir ist immer, als fehlte mir was im Rücken".
Plötzlich rief er: „Ach ja, jetzt weiß ich's: der Lakai".
FORMULIERUNG
Henri Rochefort, der berühmte Publizist, war ein aus-
gezeichneter Kenner alter und neuer Kunst. Eines Tages
wurde er von einer reichen Dame, die sehr stolz auf den
Besitz einer großen Galerie angeblicher Meissonniers, Gour-
bets, Millcts, Turners usw. war, zur Besichtigung ihrer
Schätze eingeladen. Rochefort kam und schritt schweigend
durch die luxuriösen Räume. Endlich, nach einem Urteil
gefragt, antwortete er mit höflichem Lächeln: „Gnädige
Frau, Ihre Sammlung ist sehr interessant; das beste daran
sind die Fälschungen . . . ."
UNVORSICHTIG
Eine reiche Pariser Dame besaß eine Landschaft von
Fromentin auf Holz. Als eines Tages Fromentin zu Besuch
bei ihr war, bat die Dame den Meister, ihr die Echtheit des
Gemäldes bestätigen zu wollen. Fromentin schrieb auf die
Rückseite der Holzplatte: „Ich, Eugene Fromentin, bestätige,
diese Landschalt mit eigener Hand gemalt zu haben. Bald
darauf starb die Dame; ihre Galerie wurde versteigert und
in alle Winde verstreut. Ein Händler erstand den Fromentin,
und als er die Inschrift auf der Rückseite bemerkte, ließ er
die Platte der Länge nach durchsägen, und auf die Hälfte,
die das Zeugnis Fromcntins trug, die Landschaft kopieren,
worauf er beide Tafeln verkaufte. So existiert heute also
ein echter Fromentin mit einer gefälschten und ein falscher
mit einer echten Unterschrift.
SOHNESRECHT
In dem Atelier von Millet Iiis betrachtet ein Kritiker die
Arbeiten dieses nicht unbedenklichen Nachahmers. Er macht
ihm Vorwürfe: „Ihr Vater, der große Jean-Francois würde
sich im Grabe umdrehen, wenn er so was sähe". — Millet
Iiis (entrüstet): „Ob mein Vater sich im Grabe umdreht oder
nicht, darüber habe ich allein zu entscheiden".
GUT GEMEINT
Der Maler-Radierer Oskar Graf-Freiburg besuchte Dill
in dessen Dachauer Atelier und fand den Künstler dabei,
ein Bild auszusuchen, das irgendwer zum Geschenk erhalten
sollte. Dill hält endlich ein Bild hoch, stellt es auf die
Staffelei und fragt Graf-Freiburg: „Meinen Sie, daß ich dieses
Bild geben soll?" Graf-Freiburg schaut es an und sagt:
,,Wär' schade darum Sie haben doch noch viel schlechtere!"
NEUNZEHNTER JAHRGANG, ERSTES HEFT. REDAKTIONSSCÜLUSS AM 15. SEPTEMBER AUSGABE AM 1 OKTOBER NEUNZEHN-
HUNDERTZWANZIG. REDAKTION: KARL SCHEEFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN
GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER, G.M.B.H., LEIPZIG
Matisse quälte sich einst mit einer Schülerin, einer Russin,
er suchte in ihre Auffassung der Natur einzudringen, mußte
es aber aufgeben und fragte endlich verzweifelt, was
sie denn eigentlich in der Natur suche. Die Russin ant-
wortete: ,,Je cherche le neuf".
ANDERS HERUM
In den neunziger Jahren, als Lesser Ury von einer Partei
von Kunstpolitikern gegen Liebermann ausgespielt wurde,
war die Legende verbreitet, Ury habe in Liebermanns Bilder
viel hineingemalt und diesem erst gezeigt, wie's gemacht
wird. Als dieses Liebennann hinterbracht wurde, sagte er:
„Wissen Sie, ob Lesser Ury behauptet, er hätte meine Bilder
gemalt, ist mir egal; aber wenn er behaupten sollte, ich
hätte in seine Bilder hineingemalt: dann verklag ich ihn".
IM CAFE DU DOME
war ein Streit über ein Bild von Matisse entstanden,
das die Musik darstellte. Der Maler X. ereiferte sich furcht-
bar und fand vor allem die Figur, die eine Geige hält,
lächerlich. Es sei unmöglich, eine Geige so zu halten. Er
sagte zu Levi: „Haben Sie einmal eine Photographie von
Joachim gesehen, wie schön der die Geige hält?" „Ja,
schön", antwortete Levi, „haben Sie aber schon einmal
eine Photographie von dem Generalfeldmarschall Moltke
gesehen, wie der schön den Mund hält?"
UNANGENEHME EMPFINDUNG
Der Maler Bernhard Plockhorst war öfter von der alten
Kaiserin Augusta zu Gast geladen. Als er eines Abends
vom Hofsouper heimkam, sagte er zu seiner Frau: „Ich weiß
gar nicht, mir ist immer, als fehlte mir was im Rücken".
Plötzlich rief er: „Ach ja, jetzt weiß ich's: der Lakai".
FORMULIERUNG
Henri Rochefort, der berühmte Publizist, war ein aus-
gezeichneter Kenner alter und neuer Kunst. Eines Tages
wurde er von einer reichen Dame, die sehr stolz auf den
Besitz einer großen Galerie angeblicher Meissonniers, Gour-
bets, Millcts, Turners usw. war, zur Besichtigung ihrer
Schätze eingeladen. Rochefort kam und schritt schweigend
durch die luxuriösen Räume. Endlich, nach einem Urteil
gefragt, antwortete er mit höflichem Lächeln: „Gnädige
Frau, Ihre Sammlung ist sehr interessant; das beste daran
sind die Fälschungen . . . ."
UNVORSICHTIG
Eine reiche Pariser Dame besaß eine Landschaft von
Fromentin auf Holz. Als eines Tages Fromentin zu Besuch
bei ihr war, bat die Dame den Meister, ihr die Echtheit des
Gemäldes bestätigen zu wollen. Fromentin schrieb auf die
Rückseite der Holzplatte: „Ich, Eugene Fromentin, bestätige,
diese Landschalt mit eigener Hand gemalt zu haben. Bald
darauf starb die Dame; ihre Galerie wurde versteigert und
in alle Winde verstreut. Ein Händler erstand den Fromentin,
und als er die Inschrift auf der Rückseite bemerkte, ließ er
die Platte der Länge nach durchsägen, und auf die Hälfte,
die das Zeugnis Fromcntins trug, die Landschaft kopieren,
worauf er beide Tafeln verkaufte. So existiert heute also
ein echter Fromentin mit einer gefälschten und ein falscher
mit einer echten Unterschrift.
SOHNESRECHT
In dem Atelier von Millet Iiis betrachtet ein Kritiker die
Arbeiten dieses nicht unbedenklichen Nachahmers. Er macht
ihm Vorwürfe: „Ihr Vater, der große Jean-Francois würde
sich im Grabe umdrehen, wenn er so was sähe". — Millet
Iiis (entrüstet): „Ob mein Vater sich im Grabe umdreht oder
nicht, darüber habe ich allein zu entscheiden".
GUT GEMEINT
Der Maler-Radierer Oskar Graf-Freiburg besuchte Dill
in dessen Dachauer Atelier und fand den Künstler dabei,
ein Bild auszusuchen, das irgendwer zum Geschenk erhalten
sollte. Dill hält endlich ein Bild hoch, stellt es auf die
Staffelei und fragt Graf-Freiburg: „Meinen Sie, daß ich dieses
Bild geben soll?" Graf-Freiburg schaut es an und sagt:
,,Wär' schade darum Sie haben doch noch viel schlechtere!"
NEUNZEHNTER JAHRGANG, ERSTES HEFT. REDAKTIONSSCÜLUSS AM 15. SEPTEMBER AUSGABE AM 1 OKTOBER NEUNZEHN-
HUNDERTZWANZIG. REDAKTION: KARL SCHEEFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN
GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER, G.M.B.H., LEIPZIG