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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 3
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Glaser, Curt: Cranachs Spätstil
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0110

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das in der Hauptsache in den landschaftlichen
Gründen Verwendung findet. Dem Blau hält ge-
legentlich ein helles Braun die Wage. Damit ist
die Farbenskala im allgemeinen völlig erschöpft.
Es gibt kein Lila und kein Rosa, kein lautes Gelb
und selten ein grelles Grün oder eine der vielen
Schillerfarben, die bei anderen Meistern der Zeit
so beliebt sind. Jede Farbe ist gesättigt. Die Stoffe
sind schwer, und sie saugen das Licht. Wo sie
modelliert werden, schimmern sie nicht im Hellen,
sondern versinken im Schatten, und ein tief-
farbener Samt wird im Dunkel bis zum reinen
Schwarz getönt.

Nur im Geschmack, nicht in der Methode
unterscheidet sich diese isolierende Farbengebung
von der Koloristik des fünfzehnten Jahrhunderts.
Sie steht zu ihr in genau dem gleichen Verhältnis
wie Cranachs Kompositionsweise zu der aufreihen-
den Formensystematik der alten Zeit. Auch da
ist Cranach bewußter, besetzt er die Bildfläche
sparsamer und meidet das altmodisch bunte Ge-
dränge, aber er organisiert nicht die Gruppe, son-
dern addiert das Einzelne zu einer überschaubaren
Summe, die niemals ein Glied mehr vortäuscht,
als tatsächlich vorhanden ist. Die neue Kunst
sucht durch Verschränkung im Räume den Ein-
druck von Reichtum zu erzielen. Cranach ver-

flicht nur die Glieder zu einem Ornament, das in
sich selbst bewegt ist wie die spätgotische Distel-
ranke.

So läßt sich Cranachs Kunst als stilgeschicht-
liches Phänomen bestimmen, aber es ist nicht
leicht, eine psychologische Deutung zu geben.
Macht wirklich seine Kunst in den späteren Jahren,
da er in Wittenberg sich ganz auf sich allein ge-
stellt sah, einen Rückbildungsprozeß durch, nach-
dem er in seiner Jugend in den vordersten Reihen
unter den Neuschöpfern seiner Zeit gestanden
hatte? Es scheint nicht so, da diese Kunst doch
wieder in einem anderen Sinne zeitgemäß wurde,
und da er gegen die Romanisten, in manchem
Sinne sogar gegen Dürer selbst recht behielt.
Cranachs Bilder haben nicht teil an dem Formen-
kanon des Raffael, nicht an dem Farbenzauber
des Correggio, sie teilen nicht die Größe Dürer-
scher Anschauung, nicht die Tiefe Grünewaldscher
Empfindung und die natürliche Monumentalität
Holbeinscher Menschendarstellung, aber es geht
ein Zauber und ein köstlicher Duft von ihnen aus,
wie er nur den späten Blüten einer überreif ge-
wordenen Kunst eignet. Ist Grünewalds Malerei
das rauschende Barock, so ist die des Cranach
das zierliche Rokoko der deutschen Spätgotik ge-
wesen.

LUKAS CRANACH. HOLZSCHNITT

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