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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 3
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Scheffler, Karl: Neue Holzskulpturen von Ernst Barlach
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0112

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ERNST BARLACH, ;HOLZRELIEF
TEIL EINES KAMINS, UNTEN RECHTS

MIT ERLAUBNIS VON PAUL CASSIRER, BERLIN

demie durch eine andere überwinden wollen und
absichtsvoll revolutionär sind. Barlach folgt naiv
seinem inneren Bedürfnis und tut nur, was er
nicht lassen kann. In sein einsames Atelier in
einer mecklenburgischen Kleinstadt kommt wohl
kaum jemals ein Modell; sicher aber dehnt dort
niemals ein Aktmodell die Glieder. Das Aktmodell
ist ihm ein Greuel, ist ihm ein Hilfsmittel der
„Bildung", ist ihm Unnatur. Er sieht seine Ge-
stalten auf der Straße, auf den Feldern, im Alltag;
ihn reizt nicht der seiner Nacktheit gymnastisch
sich freuende Körper, sondern der Mensch in
seiner tiefsten Menschlichkeit, in Freude und Not,
idealisiert durch nichts als durch die Kraft seines

Gefühls und durch die erhaben stille Geste dieses
Gefühls. Er hat den Blick für das Allgemein-
gültige im Augenblicklichen, oder, wie man auch
sagen kann, für die momentane Ausprägung des
ewig Menschlichen. Er sieht das Leben treuherzig
und zugleich monumental. In seinen Werken ist
etwas Volksliedhaftes. Im Ausland versteht man
diesen Bildhauer vielleicht nicht, weil viel deutsche
Sonderlichkeit in seinen Arbeiten ist. Seine Skulp-
turen teilen in gewisser Weise das Schicksal der
Bilder Kaspar David Friedrichs, in denen ebenfalls
etwas Tiefes wie mit Hilfe eines provinziellen
Idioms ausgedrückt ist. Man könnte Barlach einen
plattdeutschen Bildhauer nennen, wenn nicht die
Plastik an sich über alles Dialekthafte hinaus auf
eine Ursprache der Empfindung wiese.

Mit dem neuen Werk, das wir hier abbilden,
hat Barlach auch wieder das Unglück, im Ver-
borgenen zu bleiben. Die fünf Holzreliefs stellen
in ihrer Gesamtheit die Verkleidung eines Kamins
dar. Die Unterschriften und die Abbildung der
Skizze am Kopf dieses Aufsatzes ermöglichen es
dem Leser, sich ein Bild vom Ganzen zu machen.
Die beiden schreitenden Einzelgestalten gehören
unten rechts und links neben das Feuerloch. Da-
rüber sind die drei Reliefs angeordnet, die das
häusliche Leben von Mann und Frau darstellen.
Es handelt sich um einen Privatauftrag. Die Kamin-
platten waren bestimmt für das von Bruno Paul
im Krieg erbaute Haus Mendelssohn in der Alsen-
straße in Berlin. Offenbar ist der Auftrag aber
nicht gut überlegt gewesen, denn es zeigte sich,
daß die Reliefs nur von einem gegenüberliegenden
Fenster beleuchtet wurden und darum nicht wirkten.
Sie sind garnicht aufgestellt worden und werden
auf dem Speicher bewahrt; und so ist die Hoffnung
vernichtet worden, diese neuen Arbeiten würden
wenigstens einem Kreise von Kunstfreunden ver-
traut werden, weil das Haus Mendelssohn als einer
der wichtigsten Mittelpunkte der Berliner Gesell-
schaft gilt. Man müßte die schönen Arbeiten ver-
loren geben, wenn sie nicht jetzt in der Ausstellung
der Akademie gezeigt würden. Hoffentlich wird
nun eine Möglichkeit gefunden, sie in ein Museum
zu überführen, nachdem der Besitzer unmöglich
mehr ein Interesse haben kann, sie weiterhin auf-
zubewahren. Die Berliner Nationalgalerie besitzt
nicht ein einziges Werk Barlachs.

Die neuen Reliefs gehören zum Besten Barlachs

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