Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Neue Holzskulpturen von Ernst Barlach
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0115

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und zum Besten, was die deutsche Plastik in den
letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Betrachtet
man die Abbildungen, vor allem das Titelbild, so
kommt einem unwillkürlich der Name Brunelleschi
auf die Lippen. Nicht daß man irgendwie an
Nachahmung, an einen bewußten Renaissancismus
dächte. Wie sollte das möglich sein, angesichts
dieser Menschen in moderner Kleidung und der
vom Bronzeguß doch so weit entfernten Holz-
schnittechnik! Es ist eine tiefere Verwandtschaft
da. Sie liegt in der Reliefauffassung, in der Model-
lierung, die mit Licht und Schatten großzügig malt,
in der Steigerung der ungekünstelten Wahrheit zur
Melodie, in der eigen-
artigen Verbindung von

Empfindsamkeit und
Strenge, in der straffen
Stilisierung überströ-
mender Menschlichkeit.
Mit einer Kopfneigung,
einer Geste, einer Hal-
tung, mit der Art wie
zwei Menschen neben-
einandersitzen oder sich
berühren, sind ganze
Lebenszustände ausge-
drückt. Alles ist un-
mittelbar, und doch
auch wieder symbolisch,
alles ist Augenblick und

Gleichnis in einem. Barlachs Menschen lieben
den Herd und die Erde, aber sie blicken auch
verloren zu den Sternen hinauf. Diese Kamin-
poesie ist wie bester Claudius. Die Form aber ist
auch in Florenz gereift, damals, als Barlach Stipen-
diat der Villa Romana war und bei sicher nur
flüchtigen Besuchen im Bargello, oder auch vor
den Bronzetüren des Baptisteriums — um von
den Anregungen der etruskischen Bildwerke dieses-
mal nicht zu reden — mit einem Blick erfaßte,
worauf es ankommt. Es hat still in ihm weiter-
gewirkt, in Rußland und in der norddeutschen
Einsamkeit. Und so ist der aus Holstein Stammende

etwas wie ein platt-
deutscher Brunelleschi
geworden. Ein Meister!
Blickt nicht über ihn
hinweg, weil ihr selten
Gelegenheit habt, seine
Arbeiten zusehen 1 Denn
die deutsche Kunstge-
schichte wird viele Jahr-
zehnte noch von ihm
reden, und manches Ge-
schlecht noch wird von
ihm sprechen, indem
es seinen Namen rüh-
mend hervorhebt aus
einer Zeit versiegender
Kunstkraft.

ERNST BARLACH, HOLZ RELIEF
TEIL EINES KAMINS, UNTEN LINKS

MIT ERLAUBNIS VON PAUL CASSIRER, BERLIN

103
 
Annotationen