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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 4
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Friedländer, Max J.: Die Herbstausstellung der Berliner Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0150

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aber, und gar der schaffende Künstler, ist nicht in
so bequemer Lage, da er mit dem Maßstab der
eigenen Sehweise an die neuen Dinge tritt. Ihm
fehlt das Verständnis für das Neue, weil ihm
das Organ, die Liebe, fehlt.

Denn der Künstler versteht nur das Kunstwerk,
das er liebt, und er liebt nur das, das er versteht.
Dieser Konflikt wird besonders schwer Werken
gegenüber, deren Technik, — wenn Technik die
Kunst in der Kunst bedeutet — der seinigen nicht
nur diametral entgegengesetzt erscheint, sondern
die seinige zu vernichten gewillt ist, in deren Wesen
sich aber trotzdem ernstes, künstlerisches Streben
dokumentiert.

Wer selbst in seiner Jugend die Ablehnung des
Impressionismus erlebt hat, wird sich ängstlich
hüten, gegen eine Bewegung, die er nicht, oder
noch nicht versteht, das Verdammungsurteil zu
sprechen, besonders als Leiter der Akademie, die,
wiewohl ihrem Wesen nach konservativ, erstarren
würde, wenn sie sich der Jugend gegenüber rein
negativ verhalten wollte.

Nicht nur Pflicht, sondern Selbsterhaltungstrieb
zwingt die Akademie, eine Bewegung, der sich die
Jugend rückhaltlos angeschlossen, mit der größten
Sorgfalt und ohne Voreingenommenheit zu prüfen,
statt sie mit überlegenem Lächeln von sich ab-
zuweisen.

Jede neue Kunstströmung schafft eine neue
Form. Aber die neue Form muß auch die Kraft
in sich haben, eine neue Kunst zu erzeugen, denn,
wie Kant sagt, es kann auch originalen Unsinn geben.
Ob nun die neue Form vorbildlich werden wird, —
das einzige Kriterium für das wahrhaft Künstlerische

in jeder neuen Form — darüber entscheidet endgültig
nur die Zeit, denn nur sie kann ein abgeklärtes Ur-
teil, das über dem Streit der Parteien steht, geben.
Die Zeitgenossen werden nie mit vollkommener
Gewißheit unterscheiden zwischen Willkür und Not-
wendigkeit. Aber diese Unsicherheit entbindet uns
keineswegs der Verpflichtung, jede Gelegenheit zur
Prüfung unserer Eindrücke und Aufnahme neuer
Werke wahrzunehmen. Eine solche Gelegenheit
möchte diese Ausstellung bieten, indem sie Schöpf-
ungen von verschiedener Art — da sie Werke
verschiedener Generationen sind — in dichtem
Nebeneinander vorführt und dadurch Vergleichung
und Klärung ermöglicht. Denn der Wert einer
Kunstschau, besonders einer staatlichen Veranstal-
tung, besteht nicht nur im Kunstgenuß, sondern
auch in der Kunstbildung.

Je mehr die Akademie in der Kunstbildung die
Kunstförderung erblickt, desto eifriger muß sie be-
strebt sein, nicht nur feststehender, überlieferter
Gesetzeskanon zu sein, sondern das lebendige Ge-
setz, das sich ewig entwickelt und erneut nach den
Vorschriften, die, aus den Meisterwerken der Ver-
gangenheit geschöpft, sich ergänzen aus den Werken
der zeitgenössischen Kunst. Die Akademie soll
der Regulator an der Kunst sein: die Tradition
in der Kunst erhaltend, aber nicht in der Tradition
erstarrend, sie darf keine Festung werden, in der
die Angekommenen und die Anerkannten sich
gegen die Jungen verschanzen, deren Äußerungen,
jenseits von schön und häßlich, etwas bieten, was
keine andere Kunst zu geben vermag, nämlich etwas
von dem Wesen der Tage, die wir durchleben und
die uns deshalb mehr angehen als alle andern Tage.

MAX LIEBERMANN, ZEICHNUNO
 
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