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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 5
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Scheffler, Karl: Glossen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0176

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mit subjektiven Werturteilen und mit daraus fließen-
den künstlichen Theorien operiert wird. Es wird
nie gesagt, daß es sich um höchst persönliche Mei-
nungen handelt, die die Zeit allein bestätigen oder
ad absurdum führen kann; vielmehr verleiht die
Atmosphäre des Museums den Urteilen Gewichtig-
keit, die Flagge deckt die Ladung. Der größte Blödsinn
wird als Doktorenweisheit gläubig aufgenommen.

Es würde nur wenig erreicht werden, auch
wenn die Urteile richtig, die Führer klug und die
Beispiele immer gut wären. Denn mit der ganzen
Kunsterziehung ist es nicht weit her. Je mehr
zum ästhetischen Empfinden gewaltsam erzogen
wird, um so mehr geht das natürliche Kunstgefühl
in die Brüche. Es gibt nur ein Mittel, um das
Kunstgefühl lebendig fortzupflanzen: indem man

Kinder mit kräftigem Lebensgefühl in die Welt
setzt. Für sie braucht man dann nur wenig noch
zu tun. Man zeigt ihnen schöne Kunstwerke und
läßt sie zuhören, wenn kluge Leute darüber de-
battieren. Mehr ist nicht nötig.

Was soll nun aber erst dabei herauskommen,
wenn theoretisch verbildete Narren in Massen ihre
jämmerlichen Urteile an geweihter Stätte zum
Besten geben dürfen! Diese Kunstschwätzerei ist
ein Zeichen mehr, daß wir an einem Ende ange-
langt sind; in dem Maße, wie sich das Publikum
begierig zu diesen modischen Führungen hinzu-
drängt, beweist es, daß es vom Verkehr mit Kunst-
werken nichts weiß, daß ihm das Notwendigste
fehlt: das Bedürfnis, sich verschwiegen mit dem
Künstler und seinem Werk zu unterhalten.

UNSITTLICHE KUNST

Die „Sachverständigen" werden wieder lebhaft
in Anspruch genommen. Von Zensur, Staatsanwalt
und Verteidiger. Sie sollen sagen, ob eine Graphik,
eine Illustrationenfolge, ein Nackttanz unsittlich
sei, oder ob ein Interesse der Kunst vorläge. Dieses
„oder" ist hervorragend.

Der „Sachverständige" spricht: wenn eine Zeich-
nung, eine graphische Darstellung mit Talent ge-
macht ist, wenn eine Tänzerin wirklich Begabung
hat, so kann von Unsittlichkeit ein für alle Mal
nicht die Rede sein. Denn das Talent erhebt alles,
ja alles in eine Sphäre, wo es den moralischen
Begriff überhaupt nicht gibt. Was das Talent tut,
weil es so tun muß, weil es Lust daran hat, das
ist schon darum nicht unsittlich. Anders verhält es
sich, wenn ein Verlag etwa — wie es heute des
Landes so der Brauch ist — teure Publikationen
macht, nur um den Sexualwillen zu kitzeln und
dazu das Künstlerische als Vorwand benutzt. Das
ist eine Gemeinheit. Stellt sich das Talent in den
Dienst dieser gemeinen Absicht, so wird es in dem
Maße talentlos, wie es sich der Absicht unterwirft.
Ob ein Parvenü vom Bildnismaler äußerste Ge-
nauigkeit im banal Gegenständlichen verlangt, oder
ob ein smarter Verleger Betonung des Erotischen
verlangt, kommt auf eins heraus: beides macht
das Talent unfrei und verführt zum Unkünstleri-

schen oder doch zum weniger Künstlerischen. Das
Talent hat das Recht, alles zu sagen und sich
auszudrücken wie es will, denn ihm ist alles Natur.
Die Absicht, erotische Empfindungen zu Zwecken
des Geschäfts oder des Amüsements zu erregen,
aber hat nicht das Recht, sich der Kunst, des Ta-
lents zu bedienen. Sie ist infam, wenn sie es tut
und das Edle als Schirm benutzt, um ihre mate-
riellen Begierden zu verbergen.

Eine zweite Frage, die davon ganz getrennt
zu beantworten ist, lautet: soll die Darstellung des
Erotischen unterdrückt werden? ist das Erotische
unsittlich? oder: wann wird es unsittlich und für
das soziale Leben gefährlich? Diese Frage mögen
Politiker beantworten; denn es ist wesentlich eine
politische Frage. Ich empfinde das Erotische nicht
als unsittlich. Unsittlich erscheint mir nur die Ver-
logenheit, womit es im öffentlichen und privaten
Leben umgeben wird; und mir scheint, es würde
etwas wie ein goldenes Zeitalter dämmern, wenn
diese giftige Verlogenheit einer heiteren Natürlich-
keit Platz machte. Aber vielleicht empfinde ich
die Dinge zu wenig moralpolitisch. Wie lautet
doch die Grundregel, die Lenaus Mephisto dem
fragenden Faust gibt?

„Verkümmert stets, doch nie zu scharf,
Dem Volk den sinnlichen Bedarf."

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