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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 6
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Demmler, Theodor: Jesus und Johannes
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0222

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Figuren ausgeglichen wird: der Oberkörper des
Christus ist nicht mehr so schmal und hoch, der
Kopf des Johannes drängt sich viel weiter empor.
Und die Gestalt des Jüngers selbst — wie ist
hier das Neigen des Hauptes realistisch ausgedeutet,
wie folgt der ganze Körper dieser inbrünstigen
Bewegung des Hauptes, die Schulter zuerst, dann
der emporgeführte Unterarm, und nicht zuletzt die
sich spreizenden Finger der aufgestützten linken
Handl Welch ein Schwung, welch ein Feuer in
der Modellierung des Kopfes, im Schnitt der
vollen Lippen, der Augen, der Locken — scheint
es nicht, als sei das vorher nur leise angeschlagene
Thema hier erst zum Leben erwacht?

Es scheint so. Niemand wird das außerordent-
liche Können dieses Meisters in Zweifel ziehen.
Seine französische Schulung — er wird wohl auch
von Geburt ein Franzose gewesen sein — erlaubte
ihm Dinge zu sagen, die die anderen nicht aus-
sprechen konnten. Dinge freilich, die auch außer-
halb ihres Wollens lagen.

Der Meister der Antwerpener Gruppe verschiebt
den Inhalt des Themas nach der sinnlich-körper-
lichen Seite hin; sein Jesus ist schön, aber er ist
leer, und ohne jede Anteilnahme am Vorgang. Er
zieht den Jünger an sich; aber er sieht dabei ins
Publikum. Von der innerlichen Hoheit des frühen
Christusbildes (Abbildung 5) ist nichts übrig ge-
blieben. Sein Johannes verkörpert wie keine andere
Gestalt das tief im Wesen der Mystik begründete
sinnliahe Element. Die erbaulichen Schriften jener
Tage zeigen auf jedem Blatt, wie die unruhig auf
und ab wogende Sehnsucht nach der Vereinigung
mit dem Herrn, wie die Seligkeit der Erinnerung
an die Augenblicke völliger Gottesnähe nach Aus-
drücken sinnlich-anschaulicher Art sucht, um sich
mitzuteilen. Die Bilder von dem Liebesverhältnis
zwischen Mensch und Gott, so rein sie empfunden,
so naiv sie aneinandergereiht sind, sie konnten
und mußten doch in der Welt der reinen Betrach-
tung, bei Menschen, die von der weltlichen Arbeit
sich ganz loszulösen strebten, die Phantasie ins
Gebiet der Schwärmerei und nicht selten auch in
eine weiblich-weiche Gefühlsseligkeit hineinführen.
Diese Ekstase des Gefühls, diese höchste Lust in
der Hingabe des eigenen Ich, hat der Künstler ge-
staltet und sein Werk ist für den, der zu lesen ver-
steht, ebenso sehr eine Interpretation der literarischen
Quellen, wie es von diesen angeregt sein mag.

Dieser Vergleich rückt die Gruppe im Kaiser-
Friedrich-Museum ins rechte Licht. Ihre Inner-
lichkeit ist nicht primitiv, nicht unbeholfen, ihre
edle Zurückhaltung verkörpert die reinste, die ganz
religiöse Form der Mystik. Dieser Jesus mit dem
ernsten sinnenden Blick, dessen hagerer Ober-
körper über das natürliche Maß hinaus gesteigert
ist, trägt doch die Züge völliger Menschlichkeit.
Wie er mit einer leisen, unbeschreiblich rührenden
Gebärde im Niederneigen des Hauptes seine Teil-
nahme an dem Jünger, sein liebendes, verstehendes
Herz verrät, das steht nicht nur hoch über dem
,,beau dieu" in Antwerpen (Abbildung 4), es ist
ein neuer Ton in der bildenden Kunst. Auch der
Johannes, bei dem der Körper stillgelegt, und alles
auf die überstarke Neigung des Kopfes gestellt ist
(mit ihrer Gegenbewegung im Gewand), dieser
Johannes, der an der Brust des Herrn zur Ruhe
gekommen, ja fast entschlummert scheint, — er
ist in seiner Stille ergreifender als der schön ge-
lockte, leidenschaftliche Jüngling des Franzosen.

Beide Werke (Abbildung 1 und 4) zeigen gegen-
über der archaischeren Fassung (Abbildung 5), wie
alles lebendiger, wärmer, bewußter wird. Aber
gerade die Verbindung beider Gestalten, wo dieser
Fortschritt besonders deutlich ist, bleibt bei der
Gruppe unseres Museums (Abbildung 1—3) männ-
lich und beinahe herb. Sie hat etwas von ver-
haltener Kraft in dem feierlich ausdrucksvollen
Gegeneinanderführen der Gewandlinien, in dem
Aufragen des Jesuskörpers. Und sie stellt etwas
dar, was keinem der anderen gelang. Das Verhält-
nis des Jüngers zu seinem Herrn, der Menschenseele
zu ihrem Gotl deutet dieser Meister nicht als selige
Verzückung, nicht als ein Aufjauchzen, bei dem die
Welt versinkt, sondern als ein kindliches Vertrauen.

In keiner anderen Gruppe sind die beiden Perso-
nen sich menschlich so nahe. Der letzte Schauer des
Magischen ist verschwunden: aus der bloßen Berüh-
rung (Abbildung 5) ist ein herzliches Umfangen ge-
worden. Aber auch die Flut wogender Gefühle hat
sich gelegt. In kristallener Reinheit tritt hier jenes
Menschliche hervor, was die Evangelien, was die
freiesten Mystiker und die Dichter auf ihre Art prei-
sen: die freie Hingabe des Jünglings zum Mann,
das schlichte grenzenlose Vertrauen von Mensch
zu Mensch. Und so wird unsere Gruppe zum
Denkmal der Liebe, die in allen Jahrhunderten
junge reine Herzen erfüllt und selig gemacht hat.

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