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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 6
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Scheffler, Karl: Die Radierung: gelegentlich der Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinett
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0224

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FRANCISCO GOYA, AUS DEN CAPRICHOS

Hunderten in der Art, wie in dieser Zeitschrift
die Kunst überhaupt betrachtet wird: in einer ge-
wissermaßen zeitlosen Weise, als gäbe es in der
Kunst zwar Bewegung aber nicht eigentlich Ge-
schichte und noch weniger „Entwicklung", als
bestände die Kunst nur aus höchsten Leistungen,
und als seien Gestaltungskraft und Technik in
diesen höchsten Leistungen untrennbar verknüpft,
so scheidet man erst einmal — nicht mit dem
Verstand, sondern gefühlsmäßig — alles aus, was
nicht unbedingt Radierung hätte sein müssen, was
die Künstler mit Hülfe des Stichs oder der Zeich-
nung ebenso charakteristisch oder doch ähnlich
so hätten ausdrücken können. Damit fallen dann
nahezu zwei Jahrhunderte weg. Was die Künstler
von Hopfer bis Dürer und den frühen Niederländern
radierend geschaffen haben, ist gewiß wertvoll, wenn
man die technische Entwicklung betrachtet, oder
wenn man die Blätter als Zeugnisse der Begabung
nimmt. Keiner dieser Künstler hat aber die Ra-

dierung als Ausdrucksmittel durchaus nötig ge-
habt, keiner hätte ohne seine Radierungen Wesent-
liches verschwiegen. Selbst Dürer, so herrlich
sein Kaltnadelblatt des heiligen Hieronymus ist,
und so sehr man denken sollte, daß seiner be-
weglichen Geistigkeit die Radierung hätte liegen
müssen, ist nicht auszunehmen. Nur die Donau-
meister und Bruegel mit seinem erstaunlichen Blatt
verdienen einen Vorbehalt. Der erste Künstler, dem
die Radierung ganz zum natürlichen Ausdrucks-
mittel wurde, den man sich ohne sein radiertes
Oeuvre nicht vorstellen könnte, ist Rembrandt.
Mit ihm erst beginnt die Radierung als selbständige
Kunst; um dann auch gleich, wie es häufig ist,
die Höhe zu erreichen. Das heißt: die Radierung
hat ihre Herrschaft angetreten, als der Künstler
sich als Individualist vom Handwerk zu lösen be-
gann, als die persönliche Handschrift wichtig
wurde und die Anschauung entschiedener dem
Malerischen zuneigte. In den romanischen Län-
dern ist die Radierung sogar erst im achtzehnten
Jahrhundert, in der Zeit des Barock, ein leben-
diges künstlerisches Ausdrucksmittel geworden;
dem Geist der italienischen Renaissance ist sie
fremd geblieben. Die Radierung ist, kurz gesagt,
eine Technik der malerischen Sehform, sie ist
eine moderne Technik jener Künstler, die, um ein-
mal Worte von Wolfflin zu benutzen, die offene
Form bevorzugen, die das Tiefenhafte wollen und die
Einheit, und die dafür die absolute Klarheit des
Stichs aufopfern. Die Radierung weist in jedem Fall
nachdrücklich auf das handschriftlich Persönliche
der Begabung, während der Stich mehr auf allgemeine
Stilmerkmale der Zeit hinweist; sie neigt ebenso
sehr dem Unkonventionellen zu, wTie der Stich der
Konvention. Man unterscheidet dieRadierungennach
Meistern, die Stiche mehr nach Zeiten und Ländern.

Was sind das nun für Künstler, denen das
Radieren etwas wie ein Müssen ist, die es brauchen,
um sich ganz auszusprechen? Viele sind ihrer
nicht. Spitzt man die Antwort, der Prägnanz zu-
liebe zu, so kann man von drei Gruppen von
Radierern sprechen. Die erste Gruppe versammelt
sich ungezwungen um Rembrandt, die zweite er-
kennt Goya als ihren Meister an, und die dritte
ist wenigstens ungefähr bezeichnet, wenn man den
Namen Piranesi nennt. In den beiden ersten Fällen
repräsentieren geniale Persönlichkeiten, im dritten
Fall kommt dem Künstler, der als Vertreter ge-

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