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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 6
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Konnerth, Hermann: Adolf v. Hildebrand: (6. Oktober 1847 - 18. Januar 1921)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0238

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Daß das Sichtbare das eigentlichste Gebiet aller bilden-
den Kunst sei, hatte man auch theoretisch schon lange vor
Marpes, Fiedler und Hildebrand gewußt und ausgesprochen,
z. B. Leonardo. Und Dürers Satz: „Des Menschen edelst
Sinn ist Sehen" erinnert sehr an Marpes' Formel: „Sehen
lernen ist alles". Aber bei Marees tritt diese Erkenntnis
als eine energische kunstpädagogische Forderung auf und
die Ausbildung des Gesichts wird ihm zur großen Aufgabe,
die ein ganzes Menschenleben mit all seinen physischen,
geistigen und sittlichen Kräften in Anspruch nehme. — Aber
erst Fiedler in erkenntnistheoretischer Wendung spricht es
aus, — was vor ihm noch niemand ausgesprochen hatte —,
daß eine echte Welt der Sichtbarkeit, eine Sichtbarkeit als
solche, überhaupt erst in und durch die Kunst zustande
komme und ohne diese als objektives Erlebnis gar nicht
vorhanden sei, oder doch nicht in Frage komme. Dies
nachgewiesen zu haben, das macht die eigentümliche philo-
sophische Bedeutung, ja philosophische Genialität Konrad
Fiedlers aus.

Das Denken Hildebrands ist nun nicht minder philoso-
phisch, aber dennoch nach einer ganz andern Richtung hin-
gewendet. Das Problem Fiedlers, daß die Welt der Sicht-
barkeit durch die Kunst erst zustande komme, interessiert
ihn eigentlich gar nicht. Für ihn ist die künstlerische Welt
der Sichtbarkeit ja eine Selbstverständlichkeit und damit
sein Ausgangspunkt für die ihn nun interessierenden Fragen
nach den besonderen Merkmalen gerade der künstlerischen
Sichtbarkeit: wodurch hebt sie sich ab von der doch auch
vorhandenen und sich fortwährend aufdrängenden Sichtbar-
keit des Erfahrungszusammenhangs der tagtäglichen Auf-
fassung?

Und nun gibt Hildebrand in außerordentlicher philoso-
phischer Schärfe eine Analyse der Anschaulichkeit unter
dem allgemeinen Gesichtspunkte der Räumlichkeit. Hatte
Fiedler die Sichtbarkeit als das eigengesetzliche Reich der
bildenden Kunst nachgewiesen, so zeigte nun Hildebrand
die tatsächlichen allgemeinsten Gesetze der künstlerischen
Sichtbarkeit. Das war nun ein abermals neues Problem
und seine Aufstellung und Lösung entsprang offenbar aus
einer ganz besonderen Art philosophischen Denkens und
jedenfalls gab damit Hildeb.and etwas, was in der ganzen
Geschichte der Kunsttheorie vor ihm noch niemand ge-
leistet hatte: die Ableitung der allgemeinsten Gesetze der
künstlerischen Sichtbarkei: — nicht aus einzelnen Gegeben-
heiten der Natur, sondern aus unserem allgemeinen Ver-
hältnis zur sichtbaren Natur überhaupt. Es werden die Mo-
mente des Raumes herausgeschält, die ihn als den notwen-
digen Zusammenhang reiner (künstlerischer) Sichtbarkeit
charakterisieren. Die durchgehende Frage bleibt die: wie
muß das Gesichtsbild beschaffen sein, wenn es in sich schon
alle Bedingungen einer Raumbestimmtheit enthalten soll? —

Der erste, der die besondere Leistung Hildebrands er-
kannt und anerkannt hat, war Konrad Fiedler. Er fand in
ihr dem allgemeinen Stimmengewirr individueller Anschau-
ungen die in den Kernpunkt des Wesens aller Kunst ein-
dringende Einsicht. „Es war eine Orientierung, die, einmal
gewonnen, Sicherheit, Ordnung, Klarheit bringen mußte,
wo mehr denn je Verworrenheit und Streit der Meinungen
herrschte". —

So steht Hildebrands kleines Buch bedeutungsvoll neben
den Schriften Konrad Fiedlers, seines Freundes: ohne kau-
sales Abhängigkeitsverhältnis, wohl aber in einer selten
schönen sachlich-logischen Beziehungsmöglichkeit. Diese
allein hatte ich seinerzeit betont. Das spätere Mißverständnis
aber hat Anlaß gegeben zu einer überaus interessanten Unter-
suchung über die tatsächliche Entstehungsgeschichte des
„Problems der Form" und damit zu höchst werlvollen Ein-
blicken in den Entstehungsprozeß echter und originaler Ge-
danken. Diese Untersuchung, zu welcher Hildebrand selbst
noch Material persönlich beigesteuert hat, hat Dr. Johannes
Eichner durchgeführt und wir hoffen sie der Veröffent-
lichung nahe.

Hildebrand sagt einmal: „Ich hätte das Problem der Form
unter allen Umständen geschrieben." Und dies ist wahr:
für ihn war es ebenso notwendig, dies kleine Buch zu
schreiben, wie es für Marees unmöglich war, die beabsich-
tigte Zusammenfassung seiner Lehrmeinungen zu Papier zu
bringen.

So steht Hildebrands Buch aber auch neben den Künstler-
büchern eines Alberti, Leonardo, Dürer usw., von vielen
als unlesbar bezeichnet, und dennoch als dasjenige, das
unter diesen allen am meisten, am längsten und mit dem
größten Nutzen gelesen werden wird. Denn vollständig
frei von der Rücksicht auf irgendeinen bestimmten Stil,
vermag es jeder echten künstlerischen Leistung, auch der
jeweilig modernsten, die Wege zu ebnen.

*

Ich glaube, Karl Scheffler hat als erster auf die beson-
dere Bedeutung der Bildnisbüsten Hildebrands hingewiesen.
Und tatsächlich ist es vielleicht die reichste und edelste
Seite seines künstlerischen Werkes. Auf dem Wege der
Kunst — welch eine Fülle der echtesten Menschenerkenntnis!
Hier offenbart sich eine neue Größe des Menschen Hilde-
brand in der aufbauenden Beziehung zu den von ihm er-
faßten und dargestellten Menschen. Könnte man einmal
die gesamte Reihe der Hildebrand'schen Bildnisbüsten neben-
einander sehen: welch ein reicher Trost für die deutsche
Menschheit! Und man würde finden, daß manche dieser
Bildnisse in der neuen Plastik überhaupt nicht ihresgleichen
haben, sehr wohl aber neben den besten Bildnissen Hol-
beins und Dürers, ja selbst neben jenen Rembrandts be-
stehen könnten. So groß und intensiv sind sie.

Ist es aber nicht merkwürdig, daß kein Selbstbildnis von
Hildebrand bekannt geworden ist? — Dafür aber bleibt uns
jenes Bildnis, das Marees vom jungen Hildebrand gemalt
hat: ein rechter Sonnenjüngling.

Wenn es wahr ist, daß die nächste Zukunft der Kunst
auf die Fatbe gestellt ist, Farbe aber ihrem Wesen nach
die Fläche verlangt, — und wenn es wahr ist, daß die
nächste Zukunft größer und ruhiger sein wird als die jüngste
Vergangenheit, — — so hätte Hildebrand in beidem der
kommenden Kunst wunderbar vorgearbeitet. Wie dem aber
auch immer sei: sein Werk, das Erlebnis seines Auges, hat
in sich seine Größe und seinen unverlierbaren Reichtum
und wird schon dadurch ewig auch eine Quelle sein für
diejenigen, die da sind und diejenigen, die kommen
wollen.

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