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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 9
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Waldmann, Emil: Griechische Zeichner
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0327

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VON EINER AMPHORA IM STIL DES AUDOKIDES. HERAKLES SCHMAUSEND UND ATHENA. MÜNCHEN

gefäße im Ansehen großer Kunstwerke; sie besitzen
hohen künstlerischen Wert auch und gerade vom
Standpunkt des geistig und anschaulich Schöpferi-
schen. Wenigstens in ihrer Blütezeit, die ungefähr
in die Zeit der Perserkriege fällt.

Immer, wenn man sich mit griechischer Kunst-
geschichte beschäftigt, wundert man sich von neuem
darüber, was für ein Glück diesen Leuten, diesen
Griechen, beschieden war. Es ist ein unerhörter
Glücksfall, daß die Ausbildung der Statue, des
Hauptthemas griechischer Plastik, erst in die Hand
genommen wurde, als die praktische Ästhetik der
Architektur, dorischer sowohl wie jonischer, im
wesentlichen feststand; und daß in der Darstellung
des Menschen Geist und Seele erst eine Rolle zu
spielen beginnen, als die rein formalen Probleme
der Plastik in den Werken Polyklets und Phidias
nach so gut wie allen Richtungen hin erschöpfend
gelöst sind. Und ebenso bedeutet es für die Ge-
schichte der griechischen Zeichnung ein unver-
gleichliches Glück, daß das Illustrative, das Er-
zählende, Darstellende und Schildernde in der
Vasenmalerei erst in dem Augenblick eindringt,
wo die Bedingungen des dekorativen Flächenstils
durch eine mehrhundertjährige Übung durchprobiert
und gleichsam gesetzmäßig derart festgelegt waren,

daß diese Stilprinzipien den Malern in Fleisch und
Blut, im Handgelenk und im Instinkt saßen. In-
folge dieser Glücksfälle konnten die Griechen in
ihrer großen Zeit, im sechsten und fünften vorchrist-
lichen Jahrhundert dieses stürmische Tempo ihrer
Kunstentwicklung einschlagen und — was noch
mehr bedeutet — innehalten, das die Betrachtung
griechischer Kunst ganz allgemein zu einem so
erregenden und beglückenden Schauspiel macht.
Griechische Kunstwerke aus der Zeit zwischen 550
und 450 kann man, nur nach ihren Formen, aufs
Jahrzehnt genau datieren oder sollte man doch
können. Die Vorbereitungen des großen Stiles,
die Mischung der Elemente, gehen langsam vor
sich. Das dauert Jahrhunderte. Als aber dieser
Prozeß vollzogen ist, als die Kräfte plötzlich frei
werden: da strömen sie mit vielseitigstem Reichtum
und von Schöpferlust erregtem Pulsschlag dahin.

Nach der dorischen Wanderung hatte sich
Hellas konsolidiert. Die neuen Griechen waren
ein Volk mit einer armen, einfachen Kultur und
wenn Homer in vager Erinnerung an mykenische
Pracht von deren Heldenepoche singt, spürt man
die Sehnsucht nach dem versunkenen goldenen
Zeitalter, und noch die vergleichsweise etwas frag-
würdigen Werke phönikischer Kultur erscheinen

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