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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 10
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Ahlers-Hestermann, Friedrich: Von den Wandlungen der neueren Kunst: Malererlebnisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0374

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man das Moderne, die gewollte oder unwillkür-
liche Zeitform ab, als Fortsetzer der Beckmann
und Berneis, Pottner und Brockhusen, zu denen
sie sich in stärkstem Gegensatz fühlen. Jene „neue
Gesinnung" der Innerlichkeit und Liebe, des Ver-
antwortungsgefühls und der höheren Ordnung, die
uns als Symbol in Marees und Thoma, in Rousseau
und Cezanne vorschweben, belebt nur selten die
Bilder. - Abstand bewahren! Treiben wir nicht
überhaupt viel zu viel Wesen mit groben Stücken
Leinwand, auf die ein paar Ölfarben schlechter
Fabrikation irgendwie gestrichen sind? Nehmen
wir doch einmal nachdenklich ein Stück chinesi-
scher Bronze in die Hand, deren zarte Wölbungen
auch eine Seele bergen, oder eine Lackarbeit mit
einem windbewegten vergoldeten Blütenzweig, an
dem vielleicht ein Jahr mit Hingebung gearbeitet
wurde; ja, schauen wir uns etwa den bis zum
Überdruß als Patron zitierten Meister Grünewald
an, eine Hand, irgendeine Einzelheit, kräuseln sich
nicht unsere Lippen, wenn wir vor den Werken
junger Zeitgenossen nicht das, was wir uns denken
sollen oder der Künstler auch dabei gefühlt haben
mag, sondern ganz einfach das Objekt, welches
da ist, ansehen? Ferne sei es, den auf kaltem
Wege mühselig hergestellten Arbeiten kunstgewerb-
lichen Gepräges das Wort zu reden, ein blank-
lackiertes Brett über ein lebendig Empfundenes zu
setzen. Es handelt sich auch nicht um Dekora-
tionswerte, die oft eine verhängnisvoll große Rolle
spielen, sondern vielmehr um den Grad der Inten-
sität, der Liebe, der Vertiefung in das Material,
die bisher noch jeden wahrhaften Künstler jeder
Zeit innerlich getrieben haben, sein Werk schön
und dauerhaft zu gestalten, daß es von innen
heraus leuchte und wärme. Diese Dinge, die wir
unter dem undefinierbaren Begriff der Qualität
zusammenfassen, gaben in den früheren Perioden
auch den geringeren Künstlern eine Daseinsberechti-

gung, so daß sie Werke schufen, die zwar nicht
an unser Tiefstes rühren (und auch garnicht diesen
falschen Ehrgeiz hatten), aber doch das Erfreuliche
einer schönen und echten Sache haben. Die Mitt-
leren, Begabten, Interessanten von heute, die kühn
nach dem - gedanklich, gefühlsmäßig — Höchsten
greifen, sie müssen wohl einst nickt und unnütz
dastehen, wenn nicht mehr der Glanz der Moder-
nität sie umspielt.

Dieser Glanz — ist er nicht wie ein farbiger
Lichtstrom, welcher von dem Scheinwerfer des
großen Jahrmarkts auf die vorwärts drängende
Menge fällt? Einen Augenblick taucht sein benga-
lisches Leuchten alle in die gleiche Farbe und
macht aus dem Priester und dem Charlatan, aus
der Dirne und der Heiligen ähnliche, rot oder
grün erstrahlende Wesen, daß man ihre Eigen-
farbe, ihren Eigenwert kaum unterscheidet. Sich
langsam weiterschiebend, treten Neue in den
scharfen Kegel ein und die Vorderen umfängt um
so tieferes Dunkel. Erst allmählich, wenn sie in
den neutraleren Lichtkreis der Geschichte gelangen,
bekommen sie ihr wahres Antlitz. Nur wenigen
starken Augen ist es möglich, ungeblendet von
der stechenden farbigen Glut das Wesentliche, das
Bleibende zu erschauen.

Alle aber, die Wertungen festzustellen und
auszusprechen haben, sollten dies tun nicht mit
der Liebe, die blind, sondern mit jener, welche
sehend macht, das Objekt und das Subjekt gleicher-
weise prüfend, nicht das Schöne darin finden, den
ersten Rausch künstlich zu erhalten und zu steigern,
sondern die Begeisterung aus tieferen Quellen
tränken. Nicht an die verdammenswerte und sehr
schädliche Gepflogenheit, den Erfolg anzubeten
wollen wir uns verlieren, sondern in unser Inneres
blicken, ob wir ganz rein sind, das Geistige zu
empfangen oder ob wir nach Neuem gierig sind,
nicht nach Kunst!

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