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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 19.1921

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Heft 12
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Walser, Robert: Der Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4746#0451

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Neigung, sorglos zu sein. Wenn andere fragen:
„Was nun?" und den Weg nicht wissen, hat er
den seinigen schon gefunden. Er sieht die Wege
nicht deutlich, hält das aber auch nicht für durch-
aus nötig; er schlägt irgend-
welche Richtung ein, aus
dem einen ergibt sich das
übrige. Alle Wege weisen
in irgend ein Leben, mehr
braucht es nicht, denn jeder-
lei Leben verspricht viel und
ist voll entzückender Er-
füllungen. Seinen Kopf
strengt er wahrlich nicht
allzu sehr an und hat recht.
Nicht alles will ausgedacht
sein, Klügeln führt nicht
zur Klugheit. Eine höhere
Macht straft uns, wenn wir
wissender sein wollen, als
uns ziemt. Für uns schickt
es sich, Vertrauen zu uns
und zur Umwelt zu haben.
Wer fühlt das besser als er?
Als er arm war, glaubte er
mehr wie je an sein Kön-
nen; als er ermüden wollte,
lockten ihn das Bild und
die Idee, daß es schön sei,
sich zusammen zu nehmen,
stärker als je. Niemand weiß
so gut, was Hingabe an das
Leben und was Erschöpfung
ist, aber es weiß auch nie-
mand so gut, daß die Natur
dies will und daß echter
Fleiß und die wahre Lust
tätig zu sein, aus zeitweiliger
Trägheit stammen. Wenn's
nicht ein natürliches Wachs-
tum ist, was wäre es dann?
Auch die Frucht auf dem
Felde braucht ihre Zeit,
genug, er spürt sein Los;
Zwang und Zwanglosigkeit seiner Bestimmung und
findet sich damit ab. Kennt jemand die volle
Zufriedenheit und die zahlreichen Unzufriedenheiten
mit sich selbst lebhafter als er? Beides führt ihn
weiter und weiter. Als er sich nicht vorwärts-

HERMANN HALLER, MÄDCHENFIGUR
MODELL FÜR BRONZE

kommen sah, fiel ihm ein, zu glauben, mit ihm
steh' es trotzdem gut; als andere der Meinung
Ausdruck gaben, er sei nicht mehr fähig, sorgte
er, daß sich seine Fähigkeit in lieblichstem Lichte
zeige, wahr machend, was
allen denen unmöglich
schien, die nicht ruhig ur-
teilen können. Er war im
Glauben wie im Unglauben
an seine Bahn stets sehr
vorsichtig, was ihn sowohl
vor der Überhebung wie vor
der Selbstpreisgabe bewahrte.
Belächelten sie seine Be-
scheidenheit, so hörte er dar-
um doch nicht auf, sie für
seine Grundlage zu halten.
Ihm blieb der Raum hold
und die Zeit günstig und
die Welt treu und er ihr,
und das war alles, wessen
es zur Entwicklung be-
durfte. Immer fand er Ta-
lent mit Lebenslust, Kön-
nen mit Fröhlichkeit und
Handwerkliches mit mensch-
lichem Gedeihen innig ver-
wandt und richtete sich mit
mehr oder weniger Glück
und Geschicklichkeit da-
nach ein. Mißlang ihm
was, so ließ er's nicht fallen,
sondern nur einen Tag lang
liegen, schaut' es dann an,
und indem er es wieder
aufnahm und einer Neube-
handlung für wert hielt,
zeigte es sich als brauch-
bar. Mit der Zeit lernte
er geduldig und sanft zu
sein, im Leben wie in der
Werkstatt. Dieser Eigen-
schaft verdankte er die
glücklichsten Stunden. Einst
war er groß; wie er sich verringert sah, wollt'
er schier mit sich grollen, aber die Gabe, die
er besaß und das Bedürfnis, Einigkeit in sich
hervorzubringen, ließen ihn auch das Kleine wert-
schätzen, bis er sich neuerdings emporgeschwungen

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