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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 4
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Tietze, Hans: Das Wiener Barockmuseum
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0082

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B. PERMOSER, DIE APOTHEOSE DES PRINZEN EUGEN
MARMOR

keit der letzten Jahre verdeutlichen diese Richtung
der allgemeinen Entwicklung; fast alle Umstel-
lungen und Aufstellungen dieser Zeit beruhen auf
dem Streben nach geschlossener Wirkung, nach
stärkerer Akzentuierung durch Herausarbeiten des
qualitativ Hervorragenden, nach Erweckung posi-
tiver künstlerischer Aktivität. Die Umwandlung
vieler fürstlicher Schlösser in Museen hat in
Deutschland neue Möglichkeiten eröffnet; aber
auch neue Schwierigkeiten geschaffen, da sich In-
halt und Rahmen kaum ohne schwere Kompro-
misse in Einklang bringen lassen. Entweder er-
drückt die Architektur den musealen Inhalt zu
bloßer Ausstattung oder dieser neutralisiert das
Bauwerk zum gleichgültigen Aufbewahrungsraum;
Rekonstruktion von Interieurs oder offensichtliche
Verlegenheitslösung sind die drohenden Gefahren
dieser mehr aus politischen Umständen als aus
inneren Überzeugungen herausgewachsenen muse-
alen Zwischenstufe.

Das neugeschaffene „Österreichische Barock-
museum" im Unteren Belvedere in Wien stellt
einen Versuch dar, den in der Luft liegenden Ge-
danken des modernen Kunstmuseums scharf und
konsequent zu gestalten. Es ist kein Schloß-, da
nirgends versucht wird, die Räume zu ihrer ur-
sprünglichen Erscheinung zurückzubilden, es ist
kein Museum, da nicht die Ansammlung und Dar-
stellung der einzelnen Objekte das Hauptziel bil-
det, es ist am allerwenigsten ein Schloßmuseum,
da eine hundertjährige museale Verwendung des
alten Gartengebäudes des Prinzen Eugen — seit
1808 beherbergte es die Ambraser Sammlung, seit
1903 die Moderne Galerie — längst alle jene Züge
andersartiger Zweckbedingtheit ausgetilgt haben,
die hinter den Schloßmuseen merkbar bleiben und
ihnen den Charakter der Maske verleihen. Es ist
vielmehr versucht, durch Ausnutzung besonderer
und vielleicht einzigartiger Umstände ein Neues
zu schaffen, in dem Rahmen und Inhalt eine wirk-
liche Einheit bilden, einander wechselseitig auf
eine höhere Stufe hebend, so daß es niemals ein
so köstlich ausgestattetes Schloß, niemals ein so
prachtvoll dargebotenes Museum gegeben hat.
Was hier gezeigt wird, ist die Idealsammlung
eines großen Kunstfreundes des achtzehnten Jahr-
hunderts, aus dem Geist des Barock abgeleitet,
mit dem Kunstgefühl unserer Zeit erfüllt. Das
wissenschaftliche Gerüste verschwindet unter der
künstlerischen Schöpfung oder, besser gesagt, die
wissenschaftliche Einstellung, die von musealen
Einrichtungen nun einmal untrennbar ist, stammt
nicht aus der analytischen Auffassung des neun-
zehnten Jahrhunderts, sondern aus jenem unserer
Sehnsucht eigentümlichen synthetischen Gebiete,
wo Wissenschaft und Kunst eins werden. Denn
wenn es der Zweck eines Museums ist, zur Erkennt-
nis vergangener Kulturen zu verhelfen, so wird er
hier durch freie nachschöpferische Tätigkeit voll-
kommener erreicht als anderwärts durch Addierung
ihrer verschiedenen Äußerungen. Wußten wir nicht
längst, daß nur der in Wahrheit ein großer Histo-
riker ist, der aus dem Geiste seiner Zeit längst Ver-
gangenes unter Wahrung aller geschichtlichen
Treue zu neuer Lebendigkeit zu beschwören ver-
mag; in diesem Sinne ist dieses Museum — trotz
und wegen seiner unhistorischen Tendenz — eine
vollgültige historische Leistung.

Die günstigen Umstände, die Direktor Haber-

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