Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Kuhn, Alfred: Corinth als Graphiker
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0259

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Man kann nun in der Folge-

bei der Lektüre des Textes auf die leere Neben-
seite mit der schwarzen Kreide die ihm aufsteigenden
Figuren festgehalten hätte, andererseits aber auch
entsteht ein „visionärer historischer Stil". Aus
wolkigen Schwaden steigen dem Maler die Gestalten
der Geschichte, der fremden Dichterphantasie, der
Mythologie empor, verdichten sich für Augenblicke
zu festen Formen, um von der Hand des Schauenden
festgehalten zu werden; denn im nächsten Augen-
blick werden sie schon wieder in Dunst und Nebel
auseinanderfließen
zeit immer wieder den
Grad der Materialisation
feststellen, den die ein-
zelnen Gestalten für Co-
rinth erlangt haben. Oft
sind es nur Wolkenge-
bilde, nur dunkle Schat-
ten, oft sind es Ge-
schöpfe, deren Adern
rotes Blut zu durchströ-
men scheint. Allen aber
ist die Irrealität der Exi-
stenz gemeinsam. Be-
denken wir, welchen
Wert gerade Corinth
ehemals auf das Glaub-
barmachen der Realität
seiner Gestalten gelegt
hat, wie dieser Maler
sich festhielt an dieser
Erde mit seinen zwei
Fäusten, wie er selbst
den religiösen und mysti-
schen Darstellungen die
Elemente des Irdischen
beigab, so versteht man
erst, was dieser Wandel
des Stiles jetzt zu be-
deuten hatte. Das Auge
des Greises, von dem
die Schleier sanken, sah
die inneren Gesichte.
Der Impressionist wurde
zum Expressionisten,
aber er wurde es orga-
nisch, durch die Not-
wendigkeit seiner Ent-
wicklung. Ihm, der sich

immer strebend bemüht, der faustisch irrend durch
die Welt gestürmt, ihm bot sich jener Preis als Ge-
schenk des Alters, den die Jungen allein durch
einen Willensimpuls oder durch ein künstliches
Versetzen in die Trance zu erhalten meinen.

Corinth, dem es gegeben worden war, das
Überirdische im Irdischen zu schauen, er unternahm
es nun von neuem, das Überirdische selbst dar-
zustellen, er verfertigte sechs Lithographien von
der Offenbarung Johannis (1916 bei Gurlitt). Aber
wieder entzog sich ihm der Vorwurf. Die Seher-

LOVIS CORINTH, DIE KLOPSTOCKSTRASSE. RADIERUNG. SCH. 380

245
 
Annotationen