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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 10
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Andrae, Walter: Baalbek
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0310

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von St. Peter mußte ich immer erst die Pilaster-
höhe mit einem der Andächtigen dividieren, der
darunter stand, und berechnen, daß ein Putto, weil
auch er in den Kanon der Säulenordnung aufge-
nommen ist, fünf- oder sechsmal größer sein muß,
als der erwachsene Mensch. Wenn das ein Fehler
ist, so haben ihn unsere Architekten oft genug
wiederholt, und das Gegenteil findet sich selten,
daß uns das Ganze riesenhaft groß gemacht wird
durch die richtig abgewogene Kleinheit von
Schmuck und Teilung.

Die Erbauer der Tempel von Heliopolis gaben
sich nicht ab mit solchen Spitzfindigkeiten. Reich-
tum, Wille zum Größten, Fähigkeit zur über-
mäßigen Leistung trieben sie, den bekannten und
einzig möglichen Kanon zu steigern und das ge-
schah automatisch, wenn die Grundzahl hoch ge-
nommen wurde. Wer einen Säulendurchmesser
so und so groß bestimmte, setzte damit die Größe
des Baues fest. Dieses selbstverständliche Sich-
binden an die hergebrachte, geheiligte Form muß
keineswegs ein Zeichen der Schwäche sein. Der
Meister kann jede alte Form genialisch neu be-
leben. So knüpft er sie an seine Gegenwart und
strahlt sie hinaus in die Zukunft. Das Suchen
nach neuen Formen hingegen bleibt in der Regel
Künstlern angelegen, die den Gipfel nicht erreichen.
Nie und unter keinen Umständen hat Johann
Sebastian Bach die alten musikalischen Formen
verlassen und jede von ihnen wuchs unter seiner
Hand zum himmelragenden Turm. Diese ruhevolle
Größe Bachscher Musik sprach zu mir aus den
vertrauten Formen und Verhältnissen der Heilig-
tümer Baalbeks — Größe, Harmonie, Schönheit
von Hellas Gnaden. Wie dieses ewig wirksame
Instrument gespielt wird, das ist eben die Meister-
leistung der Bauleute von Heliopolis. Es mag
sein, daß sie überdies in der Wahl des Tempel-
platzes gebunden waren durch den alten Kultort:
frei waren sie im Maßstab, in der Erfindung der
Riesenhöfe und -hallen, im Relief ihrer Ornamente,
in Farbe und Rhythmus, kurz in allem, was sie
dem heiligen Gefäß des Kanon einzufüllen hatten.

Und hierin liegt das am meisten Wunderbare,
die brennendste Frage beschlossen. Es ist keines-
wegs gleichgültig, welche Kraft zu dieser Größe
getrieben hat, so wenig es uns gleichgültig ist,
welche Seelenkräfte und Geistesrichtungen zur
Größe Bachs geführt haben. Unsere zweifelsüch-

tige Zeit wird in Frage stellen wollen, daß der
Kult von Heliopolis allein diese Gewalt ausgeübt
haben kann. Wir wissen, ich möchte fast sagen:
glücklicherweise, sehr wenig von diesem Kult.
Winnefelds und Puchsteins Untersuchungen haben
mit Mühe nur eben die Götter ermittelt, die in
diesem syrischen Heliopolis verehrt wurden: Ju-
piter Optimus Maximus Heliopolitanus, Bacchus,
Hermes, Aphrodite, Tyche. Hauptgott — ich
brauche es kaum zu sagen — Jupiter. Aber es
ist ein orientalischer Jupiter, der mit dem olym-
pischen Zeus des Phidias und dessen Abkömm-
lingen nichts gemein hat als den Namen.

Sein Kultbild, das in stark verkleinerten Re-
pliken auf uns gekommen ist, erinnert viel mehr
an die klotzigen Götterbilder, die tausend Jahre
früher von den Syrern angebetet wurden. Die
holden Gestalten, welche die andern Götternamen
von Heliopolis in uns wecken, würden uns zweifel-
los ebenfalls in die Irre führen. Ihre Träger mögen
ähnliche, halb griechische, halb orientalische
Wechselbälge gewesen sein, die nur die Stärke
der alten asiatischen Tradition beweisen. Das
hellenische Wesen hatte hier seine Grenzen ge-
funden.

Wer genauer hinschaut, wird die Grenzen auch
in der Kunst von Heliopolis erkennen. Es ist
nicht die reine hellenische Kunst. Der Orient war
durchaus nicht müde und abgestorben, als Alexander
seine Makedonen hinüberführte und griechisches
Wesen über ganz Asien ergoß. Wer die klassische
Reinheit anbetet, wird die Kinder dieser Ehe
zwischen griechischer Beschwingtheit und orienta-
lischem Starrsinn nicht eben ergötzlich finden,
und er wird leicht ungerecht verdammen, was die
Linie kanonischer Schönheit verläßt. Man ahnt
hier schon die kommende Entwicklung mittel-
alterlicher Kunst voraus, die immer weiter von
diesem Kanon abrückte. Aber man ist doch un-
endlich weit entfernt von einem Vergleich mit
dem traurigen levantinischen Zwitter, der heutzu-
tage geboren wird aus der schwach gewordenen
europäischen mit der noch schwächeren orienta-
lischen Kunst und Kultur. Wer nur einmal in
die rauschende Musik der Kapitelle und Akanthus-
friese des Bacchustempels geblickt hat und die
befreiende Größe seiner Riesentür ganz aus der
Nähe auf sich wirken ließ, der wird an der
strömenden Kraft dieser Zeit keinen Augenblick

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