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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Ebe, Gustav: Neubildungen im Bereiche der Baugliederungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0078

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Neubildungen im Bereiche der Baugliedernngen.

Steingewölbe durch Eisenkonstruktionen die Aussicht
auf ganz neue Gestaltungen.

Anders als die Raumbildungen im großen ver-
halten sich die Einzelglieder, welche das umschließende
und tragende Baugerüst bilden, sie sind eng mit der
stilistischen Entwickelung verknüpft, so daß es fast
unmöglich erscheint, sie losgelöst von der einmal em-
pfangenen, national bestimmten Ausprägung zu denken.
Wem sollte hierbei nicht das antike Säulengerüst mit
seinen Aranzgesimsen und geschmückten Giebeln ein-
fallen ! Sobald diese oder andere ebenso charakteristisch
ausgebildete formen an modernen Bauwerken zur
Verwendung kommen, ist der Gedanke an eine
historische Ableitung, welche in unzulässiger Weise
den heute geforderten zeitgemäßen Ausdruck beschränkt,
schwer abzuweisen. Vielleicht wäre es aber dennoch
möglich, dieser Schwierigkeit Herr zu werden, wenn
es gelänge, wie schon oben angedeutet, die der Einzel-
gliederung zu Grunde liegende Idee nach ihren stoff-
lichen und konstruktiven, aber auch ästhetischen Be-
dingungen festzustellen, und zwar unter Beiseitelassung
des fpeciell stilistisch-ornamentalen Beiwerks. Wir
Neueren fänden in diesem Verfahren ein Wittel,
den Faden sortzuspinnen, der uns mit der Ver-
gangenheit verknüpft. Indem wir erkennten, das
Vergangene fei groß gewesen, würde es uns auf-
muntern, selbst etwas von Bedeutung zu leisten;
und, wenn sich uns die Bemerkung aufdrängte, das
Große sei vergänglich und den: Wechsel unter-
worfen, so dürfte uns diese Erkenntnis nicht ab-
halten nach denffclben zu streben. Denn selbst wenn
die Schöpfungen unserer Zeit einst in Trümmer zer-
fallen, so werden sie doch unsere Nachfolger zu edler
Thätigkeit anregen, wie es uns heute von den Werken
unserer Vorvordern geschieht.

Die ausschließliche Herleitung der Bauformen
aus dem Holzbau, wenn auch eine weitverbreitete
Annahme, muß doch als ein Irrtum bezeichnet
werden; denn zweifellos gab es ebenso einen ur-
anfänglichen Steinbau, wie einen ebensolchen Holzbau,
und beide boten Gelegenheit zur Ausbildung eigener
Aunftformen. Wie denn in jenem der Freipfeiler
und die Gewälbdecke wohl durch die künstlichen Fels-
aushöhlungen hervorgerufen sein dürften. Indes sind
bei weitem die meisten Aunstsormen im Holzbau
entstanden, und erst später auf die monumentale
Architektur in Stein übertragen worden, und zwar
bemerkenswerter Weife, ohne daß der Wechsel des
Baustoffs eine wesentliche Änderung der stilistisch-
ornamentalen Einzelheiten hervorgebracht hätte, wie sich
dies namentlich beiden: ägyptischen Säulengerüst ergibt.

Vom Allgemeinen zum Besonderen übergehend,
soll nachstehend die Entwickelung der Einzelgliede-

rungen nach den formalen Bedingungen, unter denen
sie sich vollzogen hat, zur Erörterung kommen, und
zwar zunächst nur betreffs des Wandbaues und der
Ausbildung der Freistützen, des Pfeilers und der
Säule.

Die raumumschließende Wand, als erstes Er-
fordernis jedes Architekturwerks, hat eine doppelte
Herkunft, sie stammt sowohl aus dem Stein als
dem Holzbau. Megalithifche Umwallungen, als
reihenweis aufgerichtete große Blöcke oder in inehr
oder weniger horizontaler Schichtung, oder im cyklo
pischen Verbände, wie sie in Menge aus vorgeschicht-
i licher Zeit erhalten sind, gehören zu den uranfäng-
lichen Steinkonstruktionen. Die aus aufgerichteten
Steinplatten bestehende, um ein Weniges vor dem
folgenden Schichtmauerwerk vorspringende plinthc
der Zellenwand des griechischen Tempels inag als
die auffallende Ableitung einer Aunstform von dein
einstigeii heiligen Steinkreis der vorgeschichtlicheii Zeit
gelten. Die über der plinthe aussteigende isodomc
Wand zeigt das glatte Wunderwerk aus gleichhohen
Läufer- und Binderschichten bestehend und erinnert
durch die scheinbare Einspannung zwischen Anten
und oberen Architravstreif an ihre Herkunft aus
dem gemischten Holz- und Lehmziegelbau.

Die aus der Betonung des einzelnen Quaders,

^ also aus der Natur des Materials hervorgehende
Ausbildung des Schichtquaderwerks durch die Bossen
der Ansichtssiächen, mit oder ohne Randschlag, ist
wieder eine Eigentümlichkeit des Steinbaues, und
[ rührt vielleicht von den Phöniziern her, die mit
| Vorliebe den unteren Teil der Wände im Natur-
felsen ausarbeiteten und den oberen Teil in Quadern
| von oft riesigen Dimensionen horizontal aufschichteten,
j Bossen wie Randschläge sind rein technischen Ursprungs;
jene ließ man stehen, um Arbeit zu sparen, und
diese dienten als Lehre für das Versetzen der Blöcke;
j an ästhetische Wirkung der Oberflächenbehandlung
hat man damals wohl kaum gedacht. Jedoch traten
I schon bei den Römern profilierte, auf Wirkung be-
I rechnete Tuaderfugen auf, und die Renaissance machte
später von der Abstufung in der Ausladung der
Boffagen sowie der breiteren oder schmaleren Fugen-
bildung einen sehr umfassenden Gebrauch zu künst-
I lerischen Zwecken. In neuester Zeit stehen die Ame-
j rikaner im vielfachen Gebrauch des bossierten Auader-
werks an der Spitze und erzielen damit den Eindruck
I besonderer Araft oft in höchst befriedigender Weise,
bisweilen aber, wie an kleineren Landhäusern, in
das Wilde und Übertriebene fallend.

Wie sehr der ästhetische Ausdruck von der Aon-
struktion abhängig werden kann, zeigen andere aus
dem reinen Holzbau oder dem gemischten Holz- und

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